Noch im letzten Sommer schien am Nato-Gipfel in Madrid eine Lösung in Reichweite, als die Aussenminister der Türkei, Finnlands und Schwedens vor die Medien traten: Helsinki und Stockholm verpflichteten sich, das Waffenembargo gegenüber Ankara aufzuheben und die kurdischen Milizen in Nordsyrien nicht mehr zu unterstützen. Als Voraussetzung, dass die Türkei ihr Veto gegen eine Nato-Mitgliedschaft der beiden nordischen Staaten aufgibt.
Zugeständnisse an Türkei wirkungslos
Doch kaum war dieses Memorandum unterzeichnet, erhob der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan neue Forderungen: Er präsentierte eine Liste mit 73 Namen kurdischer Politikerinnen und Journalisten vor allem in Schweden, die er wegen angeblicher terroristischer Tätigkeiten ausgeliefert haben möchte. Dabei handelt es sich zum Teil um Personen mit schwedischer Staatsbürgerschaft, die sogar im Parlament in Stockholm sitzen.
Trotz dieser als Affront empfundenen Liste versuchte die im Herbst gewählte neue rechtsbürgerliche Regierung in Schweden, Ankara mit weitergehenden Zugeständnissen zu besänftigen – etwa mit der Einschränkung der Versammlungsfreiheit kurdischer Vereinigungen.
Ohne Erfolg. Denn für Erdogan ist das Nato-Erweiterungsveto ein Mittel für den Stimmenfang im Vorfeld der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen von Mitte Mai.
Rechte und linke Nato- und Türkeigegner fahren auf
Nun haben ein paar gezielte Aktionen linker und rechter Nato- und Türkeigegner in Schweden das Fass fast zum Überlaufen gebracht: Zunächst hängten Anhänger kurdischer Gruppierungen eine Erdogan-Puppe mitten in Stockholm an einen fiktiven Galgen. Dann verbrannte ein Rechtsextremist an einer bewilligten Kundgebung vor der türkischen Botschaft in Schweden einen Koran.
Für den schwedischen Aussenminister Tobias Billström waren das ein paar Aktionen zu viel: «Wir befinden uns in der schwierigsten sicherheitspolitischen Lage seit dem Zweiten Weltkrieg. Da sind solche Meinungsäusserungen nicht hilfreich», erklärte der konservative Politiker.
Wachsende Nervosität
Und sein Chef, Ministerpräsident Ulf Kristersson, mahnte zur Besonnenheit: «Jetzt müssen wir uns auf das Wesentliche konzentrieren und zu konstruktiven Gesprächen zurückfinden», sagte er, als aus der Türkei Signale kamen, das schwedische Beitrittsgesuch definitiv zu stoppen.
Jetzt müssen wir uns auf das Wesentliche konzentrieren und zu konstruktiven Gesprächen zurückfinden.
Doch von Ruhe und Besonnenheit kann im Moment keine Rede sein: Linke Kreise kritisieren die beschlossenen Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Und der wichtigste Partner im Parlament der rechtsbürgerlichen Regierung, der Vorsitzende der Schwedendemokraten, Jimmie Åkesson, erklärte, Erdogan sei nichts anderes als ein «islamistischer Diktator».
Damit hat nicht nur das Verhältnis zwischen Schweden und der Türkei einen neuen Tiefpunkt erreicht. Auch die wichtige Norderweiterung der Nato steht auf der Kippe. Das hat Folgen für die westliche Antwort auf Russlands Krieg in der Ukraine. Aber auch für das Verhältnis zwischen Schweden und Finnland – ja sogar für die Demokratie in Schweden.