Die Türkei: Die Interessen der Türkei in Syrien sind klar: Die Absetzung von Präsident Baschar al-Assad und die Verhinderung jedes Erstarkens der Kurden. Dies vor allem, um den Autonomiebestrebungen der Kurden im eigenen Land keinen Auftrieb zu geben. Zunehmend misstrauisch beobachtete die Türkei, wie die Kurden im Norden Syriens ihre autonomen Zonen ausweiteten. Und ausserdem, wie die kurdische Miliz auch über die Kurdengebiete hinaus weite Landstriche unter ihre Kontrolle brachte.
Seit 2016 unterhält die Türkei in Nordsyrien bereits eine «Sicherheitszone», in der türkeitreue Rebellenverbände operieren (siehe Karte). Dies um zu verhindern, dass die kurdisch kontrollierten Gebiete in Syrien entlang der gesamten türkischen Grenze zu einem einheitlichen Band zusammenwachsen.
Die Folgen des türkischen Einschreitens: Das Verhältnis der Türkei zu den USA dürfte stark beschädigt werden. Denn die USA kooperieren mit der kurdischen YPG im Kampf gegen den IS und um ihre eigene Präsenz in Syrien abzusichern. Somit stehen sich jetzt zwei Verbündete der USA – der NATO-Partner Türkei und die YPG – direkt gegenüber.
Die YPG: Die Türkei hat lange zähneknirschend mit angesehen, wie die Kurden vor allem vom Westen hofiert wurden, weil man in ihnen dort schlagkräftige und vor allem opferbereite Kämpfer gegen den IS sah.
Die dominierende kurdische Partei in Syrien, die PYD und ihre Miliz YPG sind eng mit der kurdischen Arbeiterpartei PKK in der Türkei verbunden. Sie wird von der Türkei als Terrororganisation eingestuft – und von Erdogan als Mitgrund für die Offensive verwendet wird. Die PYD strebt nach politischer Autonomie in den syrischen Kurdengebieten. Diese erstrecken sich alle entlang der Grenze zur Türkei. Sie hat sich geschickt durch den Krieg manövriert, anfangs auf halber Distanz zwischen dem Assad-Regime und syrischen Aufständischen, später im Militärbündnis mit den USA. Gleichzeitig hat sie es geschafft, gute Beziehungen zu Russland zu pflegen.
Wie unzerbrechlich aber ist die Unterstützung durch die USA? Es wird vermutet, dass Washington den Erhalt seiner Partnerschaft mit Ankara, dem zweitgrössten Nato-Mitglied, letztlich höher gewichtet, als das Bündnis mit den Kurden. Andererseits würden den USA ohne die kurdische Miliz der schlagkräftige bewaffnete Partner in Syrien fehlen.
Die Freie Syrische Armee: Die sogenannte Freie Syrische Armee (FSA), die sich jetzt «Syrische Nationale Armee» nennt, ist ein loses Bündnis bewaffneter Gruppen von Teilen der syrischen Opposition. Sie gründete sich im Jahr 2011 unter anderen aus Deserteuren der Assad-Armee. Ihr Ziel ist der Sturz der Assad-Regierung.
Im Laufe des Syrienkriegs gewannen dschihadistische Gruppierungen auf Seiten der Aufständischen immer mehr an Stärke und drängten die FSA zurück. Hilfe bekommt die FSA aus der Türkei, diese unterstützte durch die Kriegsjahre hindurch syrische Rebellengruppen verschiedener Ausrichtung und Radikalität.
Türkeitreue Rebellen unter dem Emblem der FSA treten als militärischer Akteur gegen die Kurden auf. Viele sind seit langem verfeindet mit der YPG – auch weil den Kurden oft vorgeworfen wird, eigene Autonomie-Interessen viel höher zu gewichten als den Sturz Assads und so zu dessen Handlanger zu werden.
Assads Syrien: Die syrische Regierung von Präsident Baschar al-Assad hat die Operation der Türkei im syrischen Afrin als «groben Überfall» bezeichnet.
Die syrische Regierung und die Türkei sind erklärte Feinde im Syrien-Krieg. Die Türkei unterstützt verschiedene oppositionelle Gruppen, deren Ziel der Sturz des syrischen Präsidenten Assad ist. Dieser bezeichnet alle Aufständischen als Terroristen – unabhängig davon, ob sie einen dschihadistischen Hintergrund haben oder nicht.
Die kurdischen Autonomiebestrebungen wurden von Assad bislang aus kriegstaktischen Gründen geduldet – so durften die Kurden bereits vor der Autonomieerklärung von «Rojava» zum Beispiel ihre eigenen Checkpoints und Schulen unterhalten.
Fraglich ist, ob Assad auch in Zukunft die kurdischen Ambitionen duldet. Sein Ziel dürfte sein, langfristig auch die kurdischen Gebiete auf syrischem Boden wieder zu seinem Territorium zu machen. Er hat nur momentan zu viele andere Kriegsschauplätze.
Die Regierung verhandelt mittlerweile offenbar mit der YPG über die Entsendung regierungstreuer Kräfte in die von Kurden kontrollierte Region Afrin. Die Verhandlungen erfolgen unter Vermittlung von Russland.
Iran: Die Iraner haben ein Interesse, dass Baschar al-Assad an der Macht bleibt. Über Damaskus erhält die pro-iranische Hisbollah im Libanon Waffen und Geld aus dem Iran.
Nicht nur Russland, sondern auch dem Iran hat es Assad zu verdanken, dass er nicht gestürzt wurde. Teheran gibt Kredite, schickt Elitesoldaten nach Syrien, die kampferprobte libanesische Hizbollah-Miliz, rekrutiert und bezahlt auch schiitische Söldner aus Irak, Pakistan und Afghanistan.
Sowohl in Syrien als auch im Irak kämpfen die Iraner gegen den IS und andere sunnitische Dschihadisten. Ein durchaus vom Iran gewünschter Effekt ist, dass in diesem zwischen dem Land am Golf und Libanon am Mittelmeer via Irak und Syrien eine gewaltige Landbrücke unter iranischem Einfluss entsteht, die sich nicht nur für Waffenlieferungen, sondern auch für den Handel nutzen lässt – und zur weiteren Stärkung der Macht Irans in der Region.
USA: Im Kampf gegen den IS in Syrien setzen die USA vor allem auf das Bündnis SDF – die sogenannten Syrischen Demokratischen Streitkräfte (Syrian Democratic Forces). Das Bündnis wird von der kurdischen YPG geführt.
Kürzlich teilte ein US-Offizier mit, dass man auf Basis der SDF eine 30'000 Mann starke Einheit aufbauen werde, die die Grenzen des von den syrischen Kurden gehaltenen Gebiets («Rojava») schützen werde.
Zwar relativierte US-Aussenminister Rex Tillerson diese Äusserung schnell wieder und stellte sie als «Missverständnis» dar. Doch auf die Türkei wirkte der Plan wie ein rotes Tuch. Präsident Erdogan setzte seine Armee in Gang.
Trotzdem werden die USA ihre Soldaten nicht aus Syrien abziehen. Denn sie wollen Russland und dem Iran nicht das Feld überlassen. Von ihrer fortdauernden Präsenz in Syrien erhoffen sich die USA auch, dass sie bei politischen Verhandlungen über eine Zukunft Syriens nicht übergangen würden.
Russland: Russland ist ein enger Bündnispartner der syrischen Regierung und hat Präsident Assad seit September 2015 mit Bodentruppen, vorwiegend aber mit Luftangriffen in von Aufständischen gehaltenen Gebieten unterstützt. Im jüngsten Konflikt zwischen der Türkei und den Kurden hält sich Russland bedeckt. Man sei besorgt über die türkische Militäroperation, hiess es offiziell aus Moskau. Wegen der Offensive in Afrin hat Russland seine Soldaten aus der nordsyrischen Region abgezogen – um ihre Sicherheit zu gewährleisten, so das russische Verteidigungsministerium.
Russland sitzt ein wenig zwischen den Stühlen. Auf der einen Seite sehen die Kurden in Russland einen potenziellen Freund und appellierten an den Kreml, zu intervenieren und die Türkei zu stoppen. Aber: In den vergangenen Monaten näherten sich Russland und die Türkei an. Bei einem Treffen bezeichneten sich Putin und Erdogan gegenseitig als «Freunde».
Das türkische Aussenministerium hatte vor Beginn der Offensive den russischen Botschafter einberufen, um ihn über die Militäroperation zu informieren. Berichten zufolge soll Russland der Türkei grünes Licht für den Afrin-Einsatz gegeben haben – sehr zum Ärger der Kurden.
Doch Russland hat ein anderes Interesse: Das Verhältnis der Türkei zu den USA dürfte durch die jüngste Offensive gegen die kurdischen Verbündeten der USA deutlich leiden, was Russland entgegenkommt. Auch wenn die Türkei die USA ebenfalls über den Einsatz in Nordsyrien informiert hatte, bevor sie die Offensive startete.