Die Militärmanöver der russischen Armee in Belarus sorgen in Westeuropa für grosse Besorgnis. Der britische Premier Boris Johnson spricht von «der grössten Sicherheitskrise in Europa seit Jahrzehnten» – man dürfe jetzt keine Fehler machen. Das sieht Margarete Klein, Sicherheitsexpertin bei der SWP in Berlin, ähnlich.
SRF News: Wie gefährlich ist die Ukraine-Krise für die Sicherheit Europas?
Margarete Klein: Die Lage ist tatsächlich gefährlich. In den letzten Tagen haben die ohnehin bereits massiven russischen Truppenzusammenzüge an der ukrainischen Grenze nochmals zugenommen.
Das Potenzial für einen grossen Angriff ist jetzt vorhanden.
Parallel dazu gibt es Übungen. Damit sind die Vorbereitungen auf russischer Seite abgeschlossen. Das Potenzial für einen grossen Angriff auf die Ukraine ist jetzt also tatsächlich vorhanden.
Wo stehen wir derzeit in der Eskalationsspirale?
Das ist schwierig zu sagen – weil wir nicht wissen, was die russische Seite genau beabsichtigt. Es könnte sein, dass Moskau bloss die Verhandlungen mit robusten militärischen Drohungen untermauert, um ein Maximum herauszuholen. Es kann aber auch sein, dass sich die Russen in eine Sackgasse manövrieren, aus der sie nur noch mit einer begrenzten militärischen Intervention in der Ukraine gesichtswahrend herauskommen.
Es könnte sich um ein längerfristiges russisches Spiel handeln, um die Europäer zu zermürben.
Oder Moskau versucht tatsächlich, mit einer grossen militärischen Intervention die Ukraine-Frage im russischen Sinn zu lösen – was aber ein Abgehen wäre von allem, was wir bisher gesehen haben. Schliesslich und endlich könnte es sich auch um ein längerfristiges russisches Spiel handeln, um die Europäer zu zermürben und sie intern beschäftigt zu halten. Am Schluss könnte so in kleinen Schritten die Situation entstehen, dass die Ukraine für den Westen zu einer Angelegenheit geworden ist, mit der man sich gar nicht mehr beschäftigen will.
Wie sehr befeuern die russischen Manöver in Belarus die Situation weiter?
Einerseits werden die militärischen Fähigkeiten der Russen an der Grenze zur Ukraine erweitert, etwa durch S-400-Flugabwehrsysteme und Su-34-Kampfflugzeuge. Mit dem Aufmarsch in Belarus könnte Russland die Ukraine jetzt nicht nur aus dem Osten angreifen und einmarschieren, sondern auch aus dem Norden – wenn Moskau tatsächlich dieses Ziel verfolgt.
Derzeit ist eine regelrechte Diplomatie-Offensive der Europäer im Gange – doch jetzt kommen diese russischen Grossmanöver. Russland zeigt sich offenbar unbeeindruckt?
Das militärische Angriffspotenzial an der Grenze zur Ukraine ist dazu da, die russische Verhandlungsposition zu untermauern. Entsprechend macht es gerade angesichts der Verhandlungsdiplomatie aus russischer Logik Sinn, jetzt nicht nachzulassen und die Drohkulisse eher zu verstärken.
Was alarmiert Sie am meisten?
Es ist die Mischung zwischen dem bisher nie dagewesenen russischen Aufmarsch zusammen mit der Rhetorik und der Maximalforderung nach einem Stopp der Nato-Osterweiterung: Seit ein paar Monaten spricht Moskau der Ukraine quasi die Staatlichkeit ab, zugleich verband es in den Vertragsentwürfen an Nato und die USA Maximalforderungen – von denen sicher auch die russische Seite weiss, dass sie so nicht erfüllt werden können.
Wir sehen überhaupt keine russische Konzessionsbereitschaft.
Sollte der Truppenaufmarsch bloss zur Untermauerung der Verhandlungen stattfinden, würde man ein gewisses Mass an russischer Konzessionsbereitschaft erwarten. Doch davon sehen wir rein gar nichts.
Das Gespräch führte Adam Fehr.