Das diplomatische Karussell dreht sich seit Wochen. Immer schneller. Mit immer mehr Passagieren. Mal spricht Biden mit Putin, mal Blinken mit Lawrow, mal Putin mit Xi, Scholz mit Biden, Macron mit Putin, Johnson mit Selenski. Und es wird weiterdrehen. Naturgemäss im Kreis. Und ohne greifbare Ergebnisse. Niemand erwartet in Bälde welche.
Kommentiert wird das Ganze jeweils so: Solange sie miteinander reden, schiessen sie nicht aufeinander. Immerhin.
Zentrale Herausforderungen gehen vergessen
Bloss: Für die Direktbetroffenen, für die ukrainische Bevölkerung, für viele, die im übrigen Osteuropa Angst vor einem Krieg haben, ist die jetzige Situation nicht hinnehmbar. Zumal Russland die Mobilisierung seiner Streitkräfte sogar noch intensiviert. Die Menschen in Europas Osten hoffen auf Entspannung, erwarten eine Lösung. Auch der Rest der Welt ist darauf angewiesen.
Es ist schlecht, wenn der von Russland inszenierten Eskalation derart viel politische, militärische und wirtschaftliche Aufmerksamkeit gewidmet werden muss. Denn darob werden zentrale internationale Herausforderungen vernachlässigt. Sagt da jemand Klimawandel?
Plattformen für Verhandlungen gäbe es genug
Nötig sind nicht weitere fruchtlose Begegnungen. Nötig wären konkrete Verhandlungen zwischen Russland und dem Westen, angeführt von den USA. Plattformen dafür gibt es reichlich: Im sogenannten Normandie-Format (Russland, Ukraine, Frankreich und Deutschland) liesse sich um die Wiederbelebung der Minsker Abkommen ringen. Im Nato-Russland-Rat über mehr gegenseitige Transparenz und die Verhinderung von alltäglichen militärischen Konfrontationen sprechen, etwa im Luftraum oder auf See.
In den Strategischen Gesprächen zwischen den USA und Russland in Genf wären eine Verlängerung des New-Start-Abkommens über atomare Interkontinentalwaffen oder Regeln im Cyberraum Themen. Und in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit OSZE müsste ernsthaft über die Vereinbarkeit zweier schwer vereinbarer Prinzipien geredet werden: Auf der einen Seite das Recht jedes Landes, frei zu wählen, welcher Allianz es angehören will. Auf der andern die Verpflichtung, dass kein Land, keine Ländergruppe ihre Sicherheit zulasten anderer Staaten erhöht.
Besuchsreigen bannt Kriegsgefahr nicht
An Stoff für intensive, zähe, langwierige Verhandlungen mangelt es also nicht. Nachdem zuvor die USA kaum interessiert waren, mit Russland über so manches, etwa über Raketenstationierungen, zu reden, verweigert sich jetzt auf einmal der Kreml Verhandlungen, die er selber seit Jahren fordert. Nüchtern betrachtet liegt die Aufnahme solcher Verhandlungen in beidseitigem Interesse. Voraussetzung ist, dass niemand vorgängig Maximalforderungen stellt, wie das momentan Moskau tut.
Kein noch so wilder diplomatischer Besuchsreigen bannt die Kriegsgefahr rund um die Ukraine nachhaltig. Das vermögen nur zielgerichtete Verhandlungsprozesse, in denen Russland und der Westen einen Nutzen für sich sehen. Moskau könnte dann seinen Truppenaufmarsch als erfolgreiches Grossmanöver interpretieren... und beenden. Und die Frage, ob die Ukraine und andere Staaten jetzt oder irgendwann der Nato angehören, verlöre an Dringlichkeit.
Die Situation dürfte sich entspannen, wenn hinter den Kulissen Verhandlungen liefen. Sie müssten und könnten Europa und Russland mehr Sicherheit bringen. Und vor allem mehr Gefühl von Sicherheit.