Wenn Russland in der Ukraine Ernst machen sollte, könnte es wortwörtlich kalt werden in Europa. Russland ist nämlich der mit Abstand grösste Gaslieferant der EU. Vor allem Deutschland importiert jährlich mehr als die Hälfte seiner Gaseinkäufe aus Sibirien. Die Zulassung der frisch gebauten Nord Stream 2-Pipeline liegt derzeit auf Eis. Und Russland zeigt schon jetzt, dass es bereit ist, Gas als Druckmittel einzusetzen. Doch der Plan könnte nach hinten losgehen.
Der russische Gasriese Gazprom beschäftigt fast eine halbe Million Mitarbeiter. Hauptaktionär ist der Staat. 80 Prozent des ins Ausland verkauften Gases aus Sibirien gehen nach Europa. Doch Gazprom drosselt derzeit seine Lieferungen. So melden die Gasspeicher in Deutschland aktuell einen historischen Tiefstand.
Russland verhält sich hier ganz klar strategisch, nutzt auch eine Drosselung der Gaslieferungen über bestimmte Transitrouten als Druckmittel auf Europa
Die Energie-Expertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Claudia Kemfert, vermutet ein geplantes Vorgehen Russlands. «Russland verhält sich hier ganz klar strategisch, nutzt auch eine Drosselung der Gaslieferungen über bestimmte Transitrouten als Druckmittel auf Europa, um einerseits eine schnellere Genehmigung von Nord Stream 2 zu ermöglichen – und andererseits aber auch um deutlich zu machen, dass es hier geopolitischen Druck hat. Die Gaspreise sind entsprechend gestiegen und das ist natürlich eine negative Wirkung für viele europäische Länder.»
Aber auch Russland braucht das Gasgeschäft: Knapp die Hälfte der Einnahmen seiner gesamten Wirtschaftsleistung stammen aus Verkäufen von fossiler Energie.
Ein Grossteil des Gases nach Europa fliesst derzeit durch Pipelines, die Polen und Belarus (Yamal-Europa) oder die Ukraine (Soyuz-Export) durchqueren. Diese Länder erhalten bis zu zwei Milliarden Dollar jährlich Durchleitungsgebühren von Russland. Mit Nord Stream 2 würde sich die Gasmenge verdoppeln, die Russland direkt und ohne Extra-Gebühren nach Europa schicken könnte.
«Insbesondere Deutschland hat die Abhängigkeit aus russischen Gaslieferungen noch erhöht, indem es eine direkte Pipeline gebaut hat und eine zusätzliche Pipeline baut und damit über 50 Prozent seines Gases aus Russland bezieht», so Kemfert. «Andere europäische Länder haben auf eine Diversifikation der Gasbezüge gesetzt, indem vor allen Dingen Flüssiggasterminals gebaut wurden und das kann auch besser genutzt werden. Deutschland hat hier also eine konträre Strategie gefahren zu anderen europäischen Ländern.»
Dabei könnte Deutschland auf Nord Stream 2 verzichten, sagt die Energie-Expertin. Alternative Gaslieferanten gäbe es genug. Und Präsident Putin würde im Konflikt mit dem Westen ein Druckmittel verlieren.