Der russische ukrainische Konflikt ist zwar längst nicht beigelegt. Doch er galt als «eingefroren». Spätestens der bewaffnete Zusammenstoss zwischen den beiden Ländern vor der Halbinsel Krim zeigt jedoch: Diese Vorstellung war naiv. Seither jagen sich Sondersitzung um Sondersitzung – UNO, Nato, OSZE, EU. Bloss: Ein Lösungsrezept hat niemand. Und die Handlungsmöglichkeiten des Westens sind extrem begrenzt.
Die Spannungen zwischen den beiden Anrainerstaaten des Asowschen Meeres steigen seit Monaten. Trotzdem erwischte die Eskalation vom Wochenende die Welt auf dem falschen Fuss. Weder gab es vorher ernsthafte Versuche zur Konfliktlösung, noch hat jetzt irgendjemand ein Konzept in der Schublade.
UNO-Sicherheitsrat ist gelähmt
Völkerrechtlich ist die Sache einigermassen klar: Sowohl aus dem UNO-Seerecht als auch aus dem russisch-ukrainischen Vertrag von 2003 lässt sich herleiten, dass Russland seine Befugnisse viel zu weit interpretiert und den vereinbarten freien Zugang für Handels- und Kriegsschiffe beider Staaten zu ihren jeweiligen Häfen zu Unrecht behindert. Entsprechend ertönt aus den internationalen Organisationen der dringende Aufruf an Moskau, die Navigationsfreiheit zu respektieren. Denn diese ist im Völkerrecht ein hohes Gut.
Darüber hinaus hörte man verblüffend wenig. Der UNO-Sicherheitsrat ist gelähmt, wie stets wenn eine Vetomacht direkt involviert ist. In der EU besteht keinerlei Wille, neue Sanktionen zu verhängen. Dass die Nato militärisch eingreift zugunsten der Ukraine, ist illusorisch. Sie wird weder Kriegsschiffe entsenden noch neue Waffen liefern. Zu gross ist die Gefahr einer Eskalation. Und zu gross das Risiko, dass die Militärallianz im Asowschen Meer Russland militärisch wenig entgegenzusetzen hätte. Selbst im grösseren Schwarzen Meer mündete ein militärischer Schlagabtausch kaum in einen sicheren Sieg der Nato.
So gibt es für Russland Kritik und für die Ukraine warme Worte und symbolisch-moralische Unterstützung. Mehr nicht. Doch diese Zögerlichkeit bedeutet immerhin: Ein grossangelegter Krieg, wie ihn der ukrainische Präsident Petro Poroschenko beschwört, droht zurzeit nicht.
Ein Ausweg ist nicht zu erkennen
Für Russland ist der Zeitpunkt günstig, das Asowsche Meer de facto zu einem rein russischen Binnenmeer zu machen. US-Präsident Donald Trump hat – wie immer wenn es um Russland geht – Beisshemmungen. Er erwägt lediglich, ein geplantes Treffen mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin abzusagen. Die britische Regierung ist mit dem Brexit absorbiert, die französische mit massiven Protesten zuhause und die deutsche ist ohnehin angezählt.
Damit ist klar: keine der führenden Nato- und EU-Mächte mag sich dem Konflikt widmen. Zwar wird sich der Nato-Russland-Rat damit befassen. Ein Ausweg ist jedoch freilich nirgends zu erkennen.
So führt denn die Zuspitzung in erster Linie dazu, dass der aus den Schlagzeilen verschwundene Konflikt wieder virulent wird. Das heisst zugleich: Es wird unwahrscheinlicher, dass die russische Annexion der Krim politisch stillschweigend anerkannt wird. Und rechtlich schon gar nicht.
Denn es wird deutlich, dass es Moskau nicht bei der Krim und einer Einflusszone in der Ostukraine bewenden lässt. Dass es vielmehr ganze Meeresteile begehrt, dazu weitere Gebiete der Ukraine. Und gar das Schwarze Meer dominieren will, an das auch drei Nato-Staaten grenzen. Umso stärker wird das Misstrauen von Neuem befeuert und damit eine Annäherung zwischen Russland und dem Westen auf lange Sicht illusorisch.