In Brüssel haben sich die Verteidigungsminister und -ministerinnen der Nato-Staaten getroffen. Thema war die Lage an der ukrainischen Grenze. Russland hatte zuvor angekündigt, einen Teil der Truppen abzuziehen. Wohin, ist unklar. Laut Fredy Gsteiger, dem diplomatischen Korrespondenten von Radio SRF, wurden Verschiebungen beobachtet, aber kein richtiger Abzug.
SRF News: Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte vor dem Treffen, er sehe keine Anzeichen für eine Deeskalation. Gilt das noch?
Fredy Gsteiger: Ja, er hat das sogar mehrfach wiederholt und davon gesprochen, dass man weiterhin eine Intensivierung des Aufmarsches feststelle. Stoltenberg ist damit nicht allein. Es gibt private Gruppen, die mittels privater Satelliten und einer Fülle von Handyaufnahmen zur selben Einschätzung kommen. Ebenso die Regierungen der USA, Grossbritanniens, Polens und anderer Länder.
Weiss man inzwischen, welche Truppen Russland abziehen will?
Moskau berichtet vom Abzug von Truppen von der Krim und verspricht den Abzug von Truppen nach der Beendigung der Manöver mit Belarus gegen Ende Woche. Westliche Beobachter dagegen sprechen bloss von Umplatzierungen. Das heisst, Truppen werden zwar verschoben, aber sie bleiben in der Nähe der Grenze.
Westliche Beobachter sprechen bloss von Umplatzierungen.
Es ist offenkundig, dass bislang keine Rückverschiebung stattfand von Truppen, die aus Sibirien oder dem Ural in den Westen beordert wurden. Diese wären, wenn sie wirklich abgezogen würden, tatsächlich weit weg von der Ukraine.
Es ging beim Treffen auch um die Präsenz in Osteuropa. Es hiess, die Nato stocke auf. Um wie viel denn und wo?
Sie plant eine stärkere Präsenz in den osteuropäischen Nato-Mitgliedländern. Es gibt eine Aufstockung der Bestände im Baltikum und in Polen, vor allem durch zusätzliche amerikanische, britische, deutsche, aber auch niederländische und norwegische Truppen. Insgesamt sind es wohl etwa gut 5000 Soldaten.
Es sind vor allem Forderungen von Ländern wie den baltischen Staaten, von Polen und Rumänien, denen die Nato damit entspricht.
Neu will man mit einer Kampftruppe unter französischer Führung in Rumänien Präsenz zeigen, wo bislang noch kaum Nato-Soldaten stationiert sind. Geplant ist auch, die Präsenz in Bulgarien, der Slowakei oder Ungarn und im Schwarzen Meer zu erhöhen. Es sind vor allem Forderungen von Polen, Rumänien und dem Baltikum, denen die Nato damit entspricht.
Wie bedeutend ist das?
Rein militärisch ist das sicher nicht beeindruckend. Auch nach der Aufstockung wird die Nato weniger als 20'000 Soldaten in Osteuropa haben. Russland hat ja mit dem jüngsten Aufmarsch bewiesen, dass es imstande ist, in kurzer Zeit ein Mehrfaches davon zu mobilisieren.
Aber politisch ist die Entscheidung schon bemerkenswert, denn etwa im Baltikum hat man zuvor jahrelang überhaupt keine Präsenz gezeigt und dann lange diskutiert, ob man Truppen dort stationieren will. Die jetzige Aufstockungsentscheidung kam sehr schnell.
Weshalb?
Das hat mit dem russischen Truppenaufmarsch zu tun, der letztlich die Nato geeint und zu mehr Entschlossenheit geführt hat, was sicher nicht Moskaus Ziel war. Aber die Idee hinter der Präsenz im Osten ist nicht, militärisch auf Augenhöhe zu sein mit Russland.
Diese Truppen sollen eine Art Stolperdraht markieren, der Russland letztlich davon abhält, einen Angriff überhaupt zu erwägen.
Die Truppen sollen eine Art Stolperdraht markieren, der Russland letztlich davon abhält, einen Angriff überhaupt zu erwägen, weil dann sofort auch amerikanische, deutsche oder britische Truppen involviert wären. Nach dem Prinzip: Ein Angriff auf einen ist ein Angriff auf alle. Die Ukraine hingegen geniesst diese volle Rückendeckung nicht. Sie wird zwar als wertvoller Partner bezeichnet, aber sie ist kein Nato-Mitglied.
Das Gespräch führte Roger Brändlin.