Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz ist zu Gesprächen mit Wladimir Putin nach Moskau gereist. Die «Welt»-Redaktorin Claudia Kade ordnet diesen Besuch aus deutscher Sicht ein.
SRF News: Was bringen die Gespräche in Moskau?
Claudia Kade: Das Timing ist hochbrisant. US-Geheimdienste haben die Information verbreitet, dass es am morgigen Mittwoch eine russische Invasion in die Ukraine geben könnte. Das heisst, die Mission von Scholz ist Kriegsverhinderung. Er kann maximal erreichen, dass Russland wieder mit der Ukraine, mit Deutschland und mit Frankreich im sogenannten Normandie-Format auf höherer Ebene Friedensverhandlungen aufnimmt. Das wäre ein grosser Erfolg für Scholz. Derzeit finden Verhandlungen nur auf Arbeitsebene statt.
Ein Zeichen von Deeskalation hat es noch nicht gegeben. Wie müsste Olaf Scholz dem russischen Machthaber begegnen?
Scholz hat das Problem, dass er Putin nicht besonders gut kennt. Seine Vorgängerin Angela Merkel kannte Putin schon sehr lange und konnte dementsprechend geschickt aus deutscher Sicht mit ihm umgehen. Immerhin hat sich Scholz vor seiner Reise mit Angela Merkel beraten.
Scholz hat das Problem, dass er Putin nicht besonders gut kennt.
Die Erwartung in Deutschland ist, dass Scholz Putin noch einmal die Kosten-Nutzen-Rechnung aufzeigt. Scholz hat bisher vermieden, öffentlich die Pipeline Nord Stream 2 als Sanktionsmöglichkeit zu nennen. Die Frage ist, ob er Putin heute im direkten Gespräch diese Sanktionsmöglichkeit aufzeigt.
In Berlin herrscht die Ansicht vor, dass die Aggression von Putin ausgeht.
Wo hat Scholz noch Verhandlungsspielraum, um Russland die Chance zu geben, sich zurückzuziehen und trotzdem das Gesicht zu wahren?
Die Denkweise, dass man Putin eine gesichtswahrende Rückzugsmöglichkeit geben müsse, wird in der deutschen Bundesregierung als Putin-Logik zurückgewiesen. In Berlin herrscht eher die Ansicht, dass die Aggression von Putin ausgehe. Damit er sich zurückzieht, müsse man ihm kein Gastgeschenk mitbringen.
Wie hilfreich ist Geld, wenn an der Grenze der Ukraine über 100’000 russische Soldaten kampfbereit stehen?
Die deutsche Lesart ist, dass die Finanzhilfen der Ukraine mittelbar helfen, der Bedrohung durch Russland standzuhalten. Denn ein Land wird auch wirtschaftlich schwer gebeutelt, wenn es unter ständiger Kriegsgefahr steht. Das heisst, es ist keine direkte Hilfe, der Bedrohung standzuhalten, aber es ist ein Stabilisierungsfaktor für das Land.
Mit seiner vagen Haltung konnte Scholz Kanzler werden. Aber um Kanzler zu sein, reicht diese Haltung nicht.
Geld ist das eine. Die Ukraine möchte auch schwere Waffen wie Panzerfäuste oder Flugabwehrraketen von Deutschland. Schwere Waffen will Deutschland aber nicht geben. Weshalb?
In Deutschland wird stark mit der Geschichte argumentiert. Deutsche Waffen dürften sich nie wieder gegen russische Soldaten richten. Es gibt aber auch die umgekehrte Denkweise: Aus dem Zweiten Weltkrieg könne man den Schluss ziehen, dass man dem Aggressor schnell und mit grosser Entschlossenheit begegnen müsse, um Schlimmeres zu verhindern. Die neue Koalition hat sich vorgenommen, keinerlei Waffen mehr in Krisengebiete zu liefern. In der alten Bundesregierung wurde das noch gemacht.
Wie schlägt sich Kanzler Scholz allgemein als Krisenmanager?
Er ist umstritten. Kurz gesagt: Mit seiner vagen Haltung konnte er Kanzler werden. Aber um Kanzler zu sein, reicht diese Haltung nicht. Es gibt hier in Deutschland die berühmte 100-Tage-Regel. Erst wenn ein Kanzler 100 Tage im Amt ist, darf man sich ein Urteil erlauben. Da ist Scholz noch mittendrin. Aber er hat schon eine negative Zwischenbilanz.
Das Gespräch führte Claudia Weber.