Wie sinnvoll sind Wahlen, wenn in der Ukraine ganze Regionen im Osten und Süden nicht teilnehmen? Solche Fragen und Zweifel ausländischer Journalisten kann Walodymir Fessenko zwar verstehen. Aber die Antwort des Politologen darauf ist kategorisch: «Nein, man darf die Präsidentschaftswahl auf keinen Fall verschieben. Wenn sie jetzt nicht fristgerecht druchgeführt wird, kommt es zu noch schlimmeren Unruhen, und die ganze Krise vertieft sich weiter.»
Deshalb lieber am gesetzten Termin festhalten. Parallel dazu muss man natürlich mit den Separatisten verhandeln und sie an den Runden Tisch bringen. «Denn ein Runder Tisch ohne die Teilnahme der Vertreter aus dem Osten macht wenig Sinn», das sieht Fessenko so. Selbstverständlich müssten es verhandlungsbereite Separatisten sein. Aber die gebe es druchaus, sagt der Politologe, um sie müsse sich die Übergangsregierung in Kiew viel aktiver bemühen.
Ernsthafte Verhandlungen
Er nennt ehemalige Gebietsgouverneure und Bürgermeister aus ostukrainischen Städten etwa, und einflussreiche Wirtschaftsvertreter, mit denen ernsthaft verhandelt werden könnte. Auf diese würde die Bevölkerung im Osten noch immer hören.
Kurzfristig erwartet Fessenko vom Runden Tisch, an dem am Samstag weiter verhandelt wird, keine Stabilisierung der angespannten Lage. Aber weshalb hält er dann an einer fristgerechten Präsidentschaftswahl fest? «Russland argumentiert immer wieder, wir hätte keine legitime Regierung und keinen legitimen Präsidenten. Wenn die Wahlen jetzt nicht stattfinden, wird sich Russland weiterhin weigern, mit Kiew zu reden.»
Ausserdem gebe es keine Gewähr, dass sich die Lage durch einen Aufschub verbessere. Doch auch die Legitimität oder die Wahl des neuen Präsidenten kann in Frage gestellt werden, wenn Orte wie Lugansk, Donjezk und andere Städte nicht daran teilnehmen.
Und Fessenko räumt ein: «Die Legitimität des Präsidenten hätte sicher ein Loch. Aber es ist ja nicht so, dass der ganze Osten und Süden sich nicht beteiligt: Die Region Charkow und Dnepropetrowsk wollen die Wahl, obschon sie russisch orientiert sind.» Abgesehen davon würden militante Separatisten, die den Anschluss an Russland wollten, überhaupt nie auf eine Wahl eingehen.
Noch aus einem anderen Grund könnte die Wahl eines neuen Präsidenten stabilisierend wirken: Niemand im Land nehme die Übergangsregierung wirklich ernst, sagt Fessenk: «Premierminister und Präsident wirdersprechen sich in ihren Handlungen, der Chef des nationalen Sicherheitsrates für Paroubi ist grundsätzlich umstritten. In Kiew fehlt es an einem einheitlichen politischen Willen.»
Fessenko geht davon aus, dass nur ein militärischer Angriff Russlands die Präsidentschaftswahl noch verhindern könnte. Er und mit ihm auch die grosse Mehrheit der Bevölkerung rechnen aber nicht damit.