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Häusliche Gewalt in Russland Wenn der «Kriegsheld» zuschlägt

In Russland gilt häusliche Gewalt als Bagatelle. Der Krieg verschärft das Problem.

In einem unscheinbaren Moskauer Gebäude gelangt man durch eine Stahltür in ein karges Treppenhaus. Hinter einer weiteren Tür befindet sich das Büro der Hilfsorganisation «Nasiliju Njet» – «Nein zur Gewalt». Mitarbeiterin Serafima führt durch die drei Räume mit den Backsteinwänden, in denen Betroffenen von häuslicher Gewalt geholfen wird.

Wie ihre Kollegin Jekaterina will Serafima nicht mit Nachnamen auftreten. «Nasiliju Njet» gilt, wie die meisten NGOs in Russland, die sich vom Kreml nicht vereinnahmen lassen, offiziell als «ausländischer Agent». Deren Angestellte ziehen lieber nicht allzu viel Aufmerksamkeit auf sich.

Viel Hilflosigkeit

Pro Woche wenden sich rund 200 Frauen an «Nasiliju Njet». Russinnen brauchen die Hilfe der Stiftung. 2017 wurde häusliche Gewalt in Russland entkriminalisiert – Übergriffe auf «nahe Angehörige» gelten nur noch als Ordnungswidrigkeit, wenn es das erste Vergehen ist und sie «Schmerzen verursachen, aber nicht gesundheitsschädigend sind», wie es im Gesetz heisst.

«Wir spüren bei den Frauen viel Hilflosigkeit. Sie erstatten etwa Anzeige, aber kriegen keine Antwort», sagt Serafima. «Entsprechend spüren die Täter keine Konsequenzen und schlagen dann noch einmal zu. Das sehen wir immer wieder», fügt Jekaterina hinzu.

Eine Frau sitzt am Boden und schützt ihr Gesicht, während daneben ein offensichtlich männlicher Schattren hervortritt.
Legende: Mitarbeiterin Serafima spürt bei den Frauen Hilflosigkeit hinsichtlich häuslicher Gewalt. Viele vom Krieg zurückgekehrte Russen leiden unter einem Trauma oder Alkoholproblemen. (Symbolbild) iStock

Grundsätzlich bestehe aber auch ein Problem bei der Anwendung des Gesetzes, sagt Serafima. Auch schwere Fälle wurden oft nicht geahndet.

«Ruft jemand wegen häuslicher Gewalt die Polizei, kommt diese meist einfach nicht», so Jekaterina. «Es heisst dann jeweils, ‹Die sollen das untereinander regeln, wir mischen uns nicht in eine Familienangelegenheit ein.› Die Polizisten berufen sich auf sogenannte ‹Familienwerte›.»

«Tradition» als Staatsideologie

«Familienwerte» wurden denn auch als Grund für die Entkriminalisierung häuslicher Gewalt genannt – seit Jahren inszeniert sich der Kreml als Verteidiger sogenannter «traditioneller Werte».

Doch seit dem Grossangriff auf die Ukraine braucht Wladimir Putin die «traditionellen Werte» zudem als grosse Erzählung, um seinem Volk den Krieg gegen den angeblich dekadenten Westen zu erklären.

Gleichzeitig kehren russische Soldaten von der Front zurück, oft mit einem Trauma oder Alkoholproblem, für das sie vom Staat kaum Hilfe bekommen. Diese Last fällt auf die Partnerinnen. Jüngst sorgte ein Soldatenverein für Aufsehen, als er ein Merkblatt herausgab, in dem es hiess, Frauen sollten ihren vom Krieg zurückgekehrten Partner «nicht kritisieren» und sich ihm «nicht plötzlich von hinten nähern».

«Im Internet sehen wir das konstant», so Serafima. «Frauen sollen sich so verhalten, so sprechen, sich so anziehen, dass es dem Mann gut geht.»

Spezialoperation im Schlafzimmer

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Eine «Heldenmutter» mit zehn Kindern; ein queerer Punk-Sänger, der seine Texte umschreiben muss; Ärztinnen, die schwangeren Teenagern sagen, ihr Baby könne wie eine kleine Schwester sein: Sie alle sind von der Kreml-Kampagne zu den «traditionellen Werten» betroffen. Weshalb Putin diese Politik betreibt und was die Betroffenen dazu sagen, zu hören in der Sendung «International».

In den russischen sozialen Medien finden sich schnell zahlreiche Posts von Soldatenfrauen, die von Gewalt und Schikane seitens ihres zurückgekehrten Mannes erzählen.

Doch in den kremltreuen Medien gelten die Kämpfer der sogenannten Spezialoperation als Helden, über Übergriffe wird nur in den schlimmsten Fällen berichtet. Bei der Stiftung «Nasiliju Njet» hat man noch keinen Anstieg der Hilfegesuche festgestellt.

Frauen hätten Angst

«Noch ist unklar, woran das liegt», sagt Jekaterina. Es könne sein, dass die Frauen Angst hätten oder dass das Militär ihnen verbiete, sich an nicht staatliche Organisationen zu wenden.

«Aber wir wissen, dass es diese Übergriffe gibt», so Serafima. «Von unseren Freundinnen, Bekannten, Verwandten überall im Land. Diese Fälle sind sehr häufig geworden.»

Rendez-vous, 17.02.2025, 12:30 Uhr

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