Seit drei Jahren leidet die Ukraine unter dem russischen Angriffskrieg. Nun soll eine 30-tägige Waffenruhe verhandelt werden – eine Initiative der USA, hinter der auch die ukrainische Regierung steht. Doch in der Ukraine selbst glaubt kaum jemand daran, dass Russland sich daran halten wird.
Die Waffenruhe ist eine Art Selbstgespräch des Westens.
Christoph Brumme lebt seit 2016 in Poltawa und erlebt den Krieg hautnah. Die Reaktion der Menschen auf den Vorschlag sei eindeutig, sagt er: «Die meisten glauben nicht, dass Russland die Waffenruhe wirklich will oder sich daran halten wird. Man kennt die Russen. Sie haben immer wieder Vereinbarungen gebrochen.»
Selbst wenn es für kurze Zeit ruhig bliebe, würde das wenig an der Realität ändern. «Beide Seiten würden sich auf den nächsten Angriff vorbereiten», meint Brumme. In der Ukraine verschwende man deshalb keine Energie auf diese Vorstellung. «Das ist eher ein Selbstgespräch, das im Westen geführt wird.»
Gewachsenes Vertrauen in die Regierung
Während der Krieg weitergeht, hat Präsident Wolodimir Selenski in der Ukraine an Ansehen gewonnen – besonders nach seinem jüngsten Besuch in Washington. Dort hatte er sich offen gegen Donald Trump und dessen Vizepräsidenten positioniert, was ihm im Westen Kritik, in der Ukraine aber Respekt einbrachte. Und: «Ukrainerinnen und Ukrainer müssen sich den Tatsachen stellen, dass sie nicht dreimal täglich ihre Meinung ändern können wie die US-Regierung», sagt Brumme.
Man konzentriert sich auf das Wesentliche: Kämpfen, helfen, überleben.
Die widersprüchliche Haltung der USA – mal ausbleibende, mal erneuerte Militärhilfe – sorgt für Frustration. Dennoch lassen sich die Menschen nicht von Hoffnung oder Enttäuschung leiten, sondern von konkretem Handeln.
«Ich selbst fahre nächste Woche nach Polen, um einen gespendeten Rettungswagen ins Frontgebiet zu bringen», erzählt Brumme. «Neulich hat ein Mann aus der Schweiz 1000 Euro gespendet. Davon kann ich Medikamente kaufen. Das ist Hilfe, die wirklich etwas bewirkt.» Zeit, verzweifelt oder traurig zu sein, habe man in der Ukraine nicht, so Brumme. Das sei ein «Luxus» des Westens.
Informationen direkt von der Front
In der Ukraine informiert sich die Bevölkerung längst nicht mehr über das Fernsehen. «Das Internet ist die wichtigste Quelle, mit vielen Analytikern, Politologen und Militärs», sagt Brumme. Manche nutzen sogar Plattformen wie Chatroulette, um direkt mit Russen über den Krieg zu diskutieren – eine Form der psychologischen Kriegsführung.
Grosse Politik spielt für viele Ukrainer im Alltag eine untergeordnete Rolle. «Man konzentriert sich auf das Wesentliche: Kämpfen, helfen, überleben.» Die Einigkeit in der Ukraine sei nach wie vor gross. «Es gibt keine Zweifel am Willen, sich zu verteidigen.»