Das Projekt «Bahnhofsklo» riss ein grosses Loch in die Brandmauer. In Nordhausen, einer Stadt in Thüringen, schlug die «Alternative für Deutschland» vor: Wir brauchen eine neue Toilette beim Bahnhof. Die CDU brachte das in die Bredouille. Eigentlich gilt die Regel: AfD-Projekte werden nicht unterstützt – wegen der aus Berlin verordneten Brandmauer. Doch kann man ernsthaft gegen ein Bahnhofsklo sein? Ein AfD-Mann erzählt diese Anekdote mit leuchtenden Augen. Ein kleiner Sieg mit grosser Bedeutung.
In Österreich geht es dieser Tage nicht um sanitäre Einrichtungen an der Bahn-Infrastruktur – sondern um die Kanzlerschaft. FPÖ-Mann Herbert Kickl wird wohl, wie er es nennt, «Volkskanzler». Und die konservative ÖVP macht mit, als Juniorpartnerin. Die traditionsreiche Partei unterwirft sich einem Rechtspopulisten, der die Damen und Herren aus der ÖVP schon als «geistige Einzeller» bezeichnet hatte. Umgekehrt warnte man bei den Konservativen: «Wer Kickl wählt, wählt fünf Jahre Hochrisiko mit radikalen Ideen». Der Ton war gesetzt, die gegenseitige Verachtung nicht überhörbar.
Kann man die AfD weiter ignorieren?
Doch jetzt wird in Wien wohl bald gemeinsam regiert. Was heisst das für Deutschland? Ist die Brandmauer zu halten – jenseits der Bahnhofsklo-Frage? Soll man eine Partei wie die AfD, die zwar in Teilen rechtsextrem, aber nicht verboten ist, längerfristig aus der politischen Verantwortung heraushalten? Eine Partei ignorieren, die immerhin plus minus 20 Prozent der Menschen gewählt haben? Oder anders gefragt: Wie lange kann die CDU, die Christlich-Demokratische Union Deutschlands, der AfD noch widerstehen?
Im europäischen Ausland sind die Unterwerfungsakte schon angedacht oder gar vollzogen. In Italien regiert Postfaschistin Giorgia Meloni mit «Forza Italia» zusammen – die ehemalige Berlusconi-Partei, Mitte-Rechts einzuordnen, wollte an die Macht. Und trat ins Meloni-Kabinett ein. In Frankreich wollte der Chef der «Républicains» mit dem «Rassemblement National» von Marine Le Pen anbandeln. Was auf europäischer Ebene einen Proteststurm auslöste, man drohte gar mit dem Ausschluss aus der EVP-Fraktion. Nun ist in Paris eine Regierung am Werk, die vor allem der Widerstand gegen Le Pen eint.
In Deutschland wird am 23. Februar gewählt – und wie es aussieht, wird die CDU diese Wahl gewinnen. Und sich einen oder mehrere Bündnispartner suchen, um die AfD von der Macht fernzuhalten. Inhaltlich haben sich die CDU – und auch die SPD – vor allem in Migrationsfragen schon ziemlich angenähert an die AfD, man kann sogar sagen, die beiden traditionellen Parteien liessen sich von der AfD vor sich hertreiben. Aber dennoch: Vorerst wird es ohne AfD gehen.
Die CDU und ihre wohl letzte Chance
Doch der Druck auf die Anti-AfD-Koalition ist gross: Noch einmal darf eine Regierung wie die Ampel-Koalition unter Kanzler Scholz nicht scheitern. Je grösser das Chaos, desto grösser die Sehnsucht der Menschen nach vermeintlich einfachen Antworten der AfD. Wenn die nächste Regierung nicht liefert, ist das die grosse Chance der AfD, welche diese zu nutzen weiss. Der derzeitige Vizekanzler Robert Habeck erklärt es im «Spiegel» so: «Populisten laden gesellschaftliche Probleme mit maximaler Spannung auf, sie überhitzen sie so stark, dass sie als nicht mehr lösbar erscheinen.» Und gewinnen dann Wahlen.
2029 könnte es so weit sein. Dann stünde die CDU vor der Frage, ob sie sich unterwerfen soll, um an der Macht zu bleiben. Das Ende einer Entwicklung, die mit dem Bahnhofsklo von Nordhausen begann.