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Umstrittene Bundesratspläne Ist die Spitze der Ariane-6-Rakete bald nicht mehr «swiss made»?

Der erstmalige Start der europäischen Ariane-6-Rakete ist ein Erfolg für das staatliche Schweizer Raumfahrtunternehmen «Beyond Gravity». Doch der Bundesrat will das Unternehmen im nächsten Jahr verkaufen, möglicherweise ins Ausland. Die Pläne stossen wegen des Ukraine-Kriegs auf Widerstand.

Die Spitze der Ariane-Raketen, die sogenannte Nutzlastverkleidung, stellt der staatliche Rüstungskonzern Ruag seit Jahrzehnten in der Schweiz her. Doch lange soll die Fertigung von Raumfahrtteilen nicht mehr staatlich bleiben, und möglicherweise ins Ausland verkauft werden. 

Schriftzug 'beyond gravity' vor einem Gebäude.
Legende: Wird «Beyond Gravity» bald verkauft? Keystone/Archiv/CHRISTIAN MERZ

Was gut für die Bundeskasse wäre, stösst seit dem russischen Überfall auf die Ukraine zunehmend auf politischen Widerstand. Die sicherheitspolitische Kommission des Nationalrats hat mit grosser Mehrheit einen Vorstoss eingereicht, der den Bundesrat dazu auffordert, den Verkauf von «Beyond Gravity» grundsätzlich zu überdenken.

«Die Kommission war der Meinung, dass für den Verkauf von Beyond Gravity vor allem ökonomische Interessen im Vordergrund standen, nicht aber sicherheitspolitisch-strategische Überlegungen», sagt Kommissionspräsidentin Priska Seiler Graf (SP/ZH).

Dagegen wehrt sich nun die sicherheitspolitische Kommission des Nationalrates. «Wir sind klar der Meinung, dass Weltraumtechnologie eine Schlüsseltechnologie sein wird und in Anbetracht der veränderten politischen Lage hält es eine grosse Mehrheit der Kommission für wichtig, dass wir diese Technologie in Bundeshänden behalten», so Seiler Graf.

2020 Aufspaltung in zwei Teile

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2020 wurde der staatliche Rüstungsbetrieb Ruag in zwei Teile aufgespalten. Die Ruag Schweiz verbleibt im Besitz des Bundes und konzentriert sich auf die Wartung von Flugzeugen und anderen Systemen für die Schweizer Armee. Der Raumfahrtteil wurde ins neue Unternehmen «Beyond Gravity» ausgelagert und soll zu einem möglichst hohen Preis verkauft werden.

Ein Raumfahrtunternehmen zu führen, sei keine staatliche Aufgabe, argumentiert der Bundesrat. Doch Sicherheitspolitikerinnen und Sicherheitspolitiker von links bis rechts argumentieren, der Weltraum sei wegen der unsicheren Weltlage sicherheitspolitisch von grosser Bedeutung.

Im Widerspruch zur Weltraumstrategie?

In der Weltraumstrategie von 2023 schreibt der Bundesrat auch von einer hohen sicherheitspolitischen Bedeutung. Die Schweiz und Europa müssten im Weltraum einen hohen Autonomiegrad erreichen, steht im Bericht, und: «Die Schweiz trägt zu europäischen Systemen Schlüsselelemente bei.» 

«Die Raumfahrtsparte hat eine sicherheitspolitische Bedeutung»

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«Bisher argumentierte der Bundesrat, der Staat müsste sehr viel Steuergeld ins Raumfahrtunternehmen investieren, damit sich die Firma auch weiterentwickeln könne. Dies sei zu risikoreich und keine staatliche Aufgabe. Dass nun aber ein Verkauf grundsätzlich infrage gestellt wird, bringt den Bundesrat in eine ungemütliche Lage. Ein möglicher Ausweg könnte sein, Beyond Gravity an Schweizer Investoren zu verkaufen, falls sich solche finden lassen. Bisher ging man aber davon aus, dass nur grosse europäische Raumfahrtunternehmen als Käufer infrage kommen. Klar scheint hingegen, und dies bekräftigte die Regierung schon mehrmals: Der Bundesrat wird Beyond Gravity nur an ein westliches Unternehmen verkaufen, weil die Raumfahrtsparte für den Bund unter dem Strich eben doch eine sicherheitspolitische Bedeutung hat.»

Andy Müller, Bundeshausredaktor

Verliert die Schweiz solche Schlüsselelemente, wenn der Raumfahrtbereich nicht mehr staatlich ist? Der Direktor des Verbandes der Maschinen- und Tech-Industrie, Stefan Brupbacher, beurteilt die Lage etwas anders. «Beyond Gravity ist eine super Firma, in die man investieren muss. Das kann der Bund nicht. Deshalb ist die Privatisierung der richtige Weg.» Aus Sicht Swissmem würden sie aber eine Schweizer Investoren-Lösung bevorzugen.

Verkauf für 2025 geplant

Die Eidgenössische Finanzverwaltung ist zuständig für den Verkauf des staatlichen Raumfahrtunternehmens. «Ein Verzicht auf die vom Bundesrat seit 5 Jahren geplante Privatisierung hätte einschneidende Auswirkungen auf Beyond Gravity», schreibt die Finanzverwaltung. Der Start des Verkaufs sei für 2025 geplant, deshalb hätten die Forderungen aus der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats keine unmittelbaren Folgen. Doch die Forderung schaffe «rechtliche Unsicherheit».

Bereits 2022 kam es zu einem heiklen Deal

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Bei den Bedenken aus der Sicherheitspolitischen Kommission schwingt auch der kürzlich erfolgte Verkauf der staatlichen Munitionsfabrik in Thun mit. 2022 wurde die Ruag Ammotec an den italienischen Waffenhersteller Beretta verkauft. Seither gibt es keine staatlich kontrollierte Munitionsfertigung mehr in der Schweiz.

Dieser Verkauf würde wegen der veränderten sicherheitspolitischen Lage in Europa so heute nicht mehr gemacht, meinen viele Parlamentarierinnen und Parlamentarier hinter vorgehaltener Hand. Den gleichen Fehler sollte man jetzt mit der Raumfahrtsparte der Ruag nicht nochmals begehen.

Tagesschau, 10.7.2024, 19:30 Uhr

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