Mittwochabend im Mahane Yehuda Quartier in Jerusalem: Es ist der Tag vor dem tödlichen israelischen Militäreinsatz in der palästinensischen Stadt Jenin und zwei Tage vor dem Anschlag auf eine Synagoge in Ostjerusalem. Noch kann niemand von den 18 Toten und zwei Dutzend Verletzten in nur zwei Tagen wissen.
Die Stimmung in dieser Netanjahu-Hochburg ist entspannt. Auf die Umfrage zu Netanjahus geplanter Justizreform reagieren einige mit Humor. Daniel Ashuri zum Beispiel, ein Netanjahu-Anhänger, der seinen Premier «Bibi» gut imitieren kann: «Wir machen eine Justiz-Revolution! Ich wünsche allen Bürgerinnen und Bürgern Israels Erfolg und Gottes Segen – Bibi ist mit euch!»
Ashuri findet die Justizreform richtig und überfällig: «Die Justiz ist korrupt und er stellt sie in den Senkel. Die Justiz will ihm Korruption anhängen, aber das wird ihr nicht gelingen.» Steht Netanjahu zu Unrecht wegen Korruptionsklagen vor Gericht? «Netanjahu ist am wenigsten korrupt – die anderen sind korrupter», antwortet Ashuri.
Netanjahu ist am wenigsten korrupt – die anderen sind korrupter.
Die Justiz hat in diesem rechtskonservativen Quartier keinen guten Ruf. Jedes Mal, wenn das Parlament ein Gesetz verabschiede, setze es das Höchste Gericht ausser Kraft, sagt ein älterer Herr, der auf dem Markt einkauft: «Es kann doch nicht sein, dass die Justiz mehr zu sagen hat als die Parlamentsmehrheit.» Künftig würde nach den Plänen Netanjahus eine einfache Mehrheit genügen, um selbst Entscheide des Höchsten Gerichts zu überstimmen.
Die Menschen in diesem Quartier nehmen den Gerichten übel, dass sie ihren Premier angeklagt haben. Sie empfinden es als Hexenjagd der Linken.
Die andere Stimme der Rechten
Ganz anders sieht das der Anwalt Eliad Shraga in Tel Aviv. Er ist der Gründer und Vorsitzende des «Movement for Quality Government in Israel», einer einflussreichen Organisation, die Korruption bekämpft – immer wieder auch vor dem Höchsten Gericht.
«Netanjahu macht das nur, weil er der Justiz entkommen will», stellt der 63-jährige Shraga fest. Zusammen mit seinen faschistischen Partnern habe er die liberale Demokratie Israels ausgehebelt und verwandle sie in eine faschistische Diktatur.
Zusammen mit seinen faschistischen Partnern hat Netanjahu die liberale Demokratie ausgehebelt und verwandelt sie in eine faschistische Diktatur.
Faschistisch? Hat der jüdische Anwalt dieses Wort wirklich an andere Juden gerichtet? «Ja, unglücklicherweise ist das die Wahrheit. Doch man muss das Kind beim Namen nennen», sagt Shraga. Er fürchte, dass diese Regierung künftig das Gesetz alleine bestimme.
«Ich sage Ihnen das als ein Vertreter der politischen Rechten», ergänzt der 63-Jährige und distanziert sich damit sowohl von den Linken als auch von den Rechtsextremen in der Regierung: «Gerade als Juden können wir solche Tendenzen nicht akzeptieren.»
Ich sage Ihnen das als ein Vertreter der politischen Rechten. Gerade als Juden können wir solche Tendenzen nicht akzeptieren.
Die Heftigkeit, mit welcher Shraga auf die Umwälzung der israelischen Justiz reagiert, mag für europäische Ohren schockierend wirken. Aber den Begriff «faschistisch» benutzen in Israel zurzeit viele Jüdinnen und Juden für Netanjahus Regierungskoalition. Auch rechts Wählende, von denen zwischen 17 und 20 Prozent gegen eine Schwächung der Justiz sind.
Im Mahane Yehuda Quartier in Jerusalem wissen sich die Netanjahu-Anhänger in der Mehrheit. Netanjahu-Imitator Daniel Ashuri sieht Israels Demokratie nicht in Gefahr. Er verabschiedet sich in Netanjahu-Stimme. «Auf Wiedersehen Schweiz. Bring beim nächsten Besuch Schweizer Schokolade und Champagner mit», spottet er in Anspielung auf eine der mutmasslichen Korruptionsaffären von «Bibi».