«Wir sind ein sehr gastfreundliches Land, alle sind willkommen. Weil wir selbst auf der Flucht gewesen sind, wissen wir, was es heisst, Flüchtlinge zu sein.» Andre Vuganeza öffnet – beinahe wie ein Priester, der seine Gemeinde empfängt – beide Hände und setzt sein bestes Lächeln auf.
Der Lagerleiter des grössten Flüchtlingscamp in Ruanda, Mahama, arbeitet für das Ministerium für Notfallmanagement, das für Flüchtlinge zuständig ist. Er ist nicht der einzige, der das Bild von Ruanda als einem ausserordentlich humanitären Land, das Flüchtlinge gerne aufnimmt, verbreitet. Es ist, was die Regierung von Paul Kagame predigt und was die Leute landauf, landab wiederholen.
Bereits 120’000 Flüchtlinge in einem Land kleiner als die Schweiz
Tatsache ist: In Ruanda, einem der kleinsten Länder Afrikas mit einer extrem hohen Bevölkerungsdichte, befinden sich, auf fünf Lager verteilt, bereits über 120'000 Flüchtlinge. Die grosse Mehrheit stammt aus den Nachbarländern Burundi und der Demokratischen Republik Kongo, über 40’000 von ihnen leben im Lager Mahama. Sie sind vor Unruhen und Bürgerkriegen in ihren Ländern geflüchtet, viele halten sich seit mehreren Jahren in Ruanda auf.
Mahama liegt an der Grenze zu Tansania und hat sich seit der Entstehung 2015 zu einer Art Dorf entwickelt. Einfache Häuser, wie sie sonst in Ruanda auch zu sehen sind, die Wäsche zwischen Bäumen aufgespannt, Geschirr und Babys werden in Becken im Hof gewaschen.
Ein selbstständiges Leben führen die Menschen jedoch nicht. Die meisten hängen von internationalen Organisationen ab. Das Welternährungsprogramm verteilt monatlich Geldgutscheine für den Essenskauf, zwei Millionen Franken wurden in eine Wasseraufbereitungsanlage investiert, die das Wasser des Grenzflusses in Trinkwasser verwandelt.
Davon, so Lagerleiter Andre Vuganeza, profitieren nicht nur die Bewohnerinnen des Lagers, sondern auch die lokale Bevölkerung. Und das sei das Erfolgsrezept, um die eigenen Leute nicht zu verärgern. «Ob sauberes Wasser, geteerte Strassen, der Bau von Schulen oder Kliniken, die Ruandeser können diese Infrastruktur ebenfalls benutzen. Und das hilft bei der Integration», sagt er stolz.
Arm, sicher und repressiv
Ruanda gilt trotz relativ hoher Wirtschaftswachstumsraten immer noch als armes Land. Die Mehrheit der Bevölkerung lebt von weniger als zwei Franken pro Tag. Wer vom Lager Mahama in die Hauptstadt Kigali fährt, hat den Eindruck, dass jeder Zentimeter des Bodens genutzt wird. In den Ebenen wächst Reis, auf den Hängen Mais und Maniok und auf klapprigen Fahrrädern werden gigantische Kochbananen-Stauden transportiert.
Alles scheint geordnet, organisiert, diszipliniert – ein Resultat der straffen Führung von Präsident Paul Kagame. Was er verbietet, wird befolgt. Kaum ein Land in Afrika ist so sauber wie Ruanda, denn Abfälle aus dem Auto zu werfen, ist verboten. Die Kreuzungen sind bar jeglicher Bettler, stattdessen ist Kigali voller Sicherheitskameras, die einen von oben beglotzen – und wer zum Flughafen will, dessen Auto muss ohne Fahrer durch eine Art Tunnel, wo es von allen Seiten durchleuchtet wird. Genau mit dieser Sicherheit wirbt Ruanda im Westen.
Sicher ist es für all jene, die spuren, nicht widersprechen und im besten Fall ins Land investieren, ohne kritische Fragen zu stellen. Was Grossbritannien genau tat. Denn dass in Ruanda regelmässig Menschenrechte verletzt werden, ist auf der internationalen Bühne der Politik kein Geheimnis. Angesehene Organisationen wie Human Rights Watch werfen Ruanda diverse Verbrechen vor, vor allem was die Meinung- und Pressefreiheit anbelangt.
Flüchtlinge: Wirtschaftsbooster oder Imageaufbesserung?
Ein armes Land mit schlechtem Image punkto Menschenrechte – wären die geplanten Flüge mit Flüchtlingen aus Grossbritannien gar ein doppelter Gewinn? Einige Millionen mehr fürs Haushaltsbudget sind bestimmt immer willkommen. Doch das sei nicht die Hauptmotivation von Paul Kagame, meint Frank Habineza von der Grünen Partei, der momentan einzigen legalen Oppositionspartei im Land, die zwei Sitze im Parlament hat.
Habineza ist überzeugt, dass es um das politische Image geht. «Grossbritannien lobt nun Ruanda überall, wie friedlich und wie demokratisch das Land sei, und genau das braucht Präsident Kagame. Auch wenn viele westliche Länder hier investieren, so wäre er die Vorwürfe von Menschenverletzungen gerne los», sagt er in seinem spartanischen Büro in Kigali.
Auf genau dieses Thema angesprochen – sein Stellvertreter wurde vor 9 Jahren ermordet – antwortet Habineza vorsichtig. Es sei insgesamt besser geworden, nicht mehr so schlimm, aber der Weg zur Meinungsfreiheit und Demokratie sei noch ein weiter. Doch mit seiner Kritik am Ruanda-Deal hält er nicht zurück. «Dieser verletzt die internationalen Menschenrechte, und zudem würden zusätzliche Menschen den Druck auf Boden und Ressourcen enorm verstärken. Es gibt schon jetzt kaum Platz.»
Alle dürfen bleiben, doch alle wollen gehen
Das sieht die Regierung anders. Für Flüchtlinge findet sie immer wieder Platz. Das Lager Mahama beispielsweise war früher ein geschütztes Stück Natur. 2019 hat Paul Kagame Platz für ein weiteres Lager, für das Transitlager Gashora, geschaffen. Dort leben Menschen, die in Libyen auf der Flucht strandeten. Als das UNO-Flüchtlingswerk (UNHCR) in Afrika nach willigen Aufnahmeländern suchte, hat sich Ruanda freiwillig gemeldet. Bereits über tausend Menschen wurden nach Gashora geflogen, über sechshundert erhielten seit 2019 Asyl in westlichen Ländern.
Das Lager ist ein Ort voller Traumen. Junge Frauen aus Eritrea oder Äthiopien, die jahrelang auf der Flucht waren, vergewaltigt, eingekerkert wurden und für die das UNHCR in Libyen der letzte Hoffnungsschimmer war. Sie haben in Gashora drei Optionen: In Ruanda zu bleiben, ins Ursprungsland zurückzukehren oder Asyl in einem Drittland zu beantragen.
Die junge Äthiopierin Reyimo Tal Chebsi weint bei der Vorstellung, in Ruanda bleiben zu müssen, auch wenn sie das dürfte. Das komme gar nicht infrage, sie wolle nach Europa oder Kanada, sagt sie mit Nachdruck. Die Chancen dafür sind gut. Niemand in Gashora will in Ruanda bleiben - im Unterschied zu Mahama, wo die Menschen schon seit sieben Jahren leben. Aber letztere stammen aus den Nachbarländern und sprechen beinahe die gleiche Sprache.
Dass die Flüchtlinge aus Grossbritannien nicht wirklich in Ruanda geblieben wären, weiss Lagerleiter Andre Vuganeza allzu gut. «Sie hätten etwas hier gewartet und wären dann zurückgekehrt» meint er lakonisch. Dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Start des Flugzeuges mit den Flüchtlingen in letzter Minute verboten hat, interessiert ihn nicht. «Wenn Europa Flüchtlinge loswerden werden will» – er macht eine Bewegung, als ob er eine Fliege verscheuchen will –, «kein Problem. Wir in Ruanda sind hier, um zu helfen.»