32 Sekunden. So viel Zeit hatte Narendra Modi, um 40 Kilogramm Silber als Grundsteine in den Boden zu legen. Denn genau während 32 Sekunden standen die Sterne gut, um den Bau des wahrscheinlich umstrittensten Tempels in Indien zu beginnen.
Archäologisch aber lasse sich das Narrativ der Hindu-Nationalisten kaum belegen, sagt die Historikerin Romila Thapar. «Es existierten wohl Mauerstücke unter der Moschee. Diese sind aber zu dünn, dass sie das Gewicht eines Tempels hätten tragen können.»
In Tat und Wahrheit würden die archäologischen Befunde aber auf Vermutungen beruhen. «Eine schlüssige Antwort, ob ein hinduistischer Tempel an dieser Stelle stand, gibt es nicht», so Thapar.
Brisanter Gerichtsentscheid
Tempel oder Moschee? Die Kontroverse teilte das Land über Jahrzehnte und zog sich bis in die Gegenwart hin. Letzten November musste das oberste Gericht entscheiden und gab es den Hindu-Nationalisten recht. Denn der Ort sei zu einer Pilgerstätte für Millionen von gläubigen Hindus geworden. Das sei Grund genug, um dort einen Tempel errichten zu lassen.
Ein hochpolitischer Entscheid, sagt Thapar: «Der Tempel soll dazu dienen, die Hindus zu einen.» Denn der Hinduismus sei eine sehr flexible und vielseitige Religion, mit tausenden Gottheiten und hunderten Sekten. «Was Modi und die BJP versuchen, ist eine Art von Hinduismus zu konstruieren nach christlichem oder muslimischem Vorbild: eine monolithische Religion mit einem klaren Gründermythos, einem zentralen Textbuch, einem Mekka oder Jerusalem.»
Deshalb sei dieser Tempel den Hindu-Nationalisten wichtig. Denn nur eine einheitliche, monolithische Religion könne für politische Zwecke gebraucht werden.
Wer die Sicht auf die Vergangenheit verändert, verändert auch die Sicht auf die Gegenwart.
Ayodhya soll zu einer zentralen Pilgerstätte für alle Hindus werden. Deswegen sei die BJP daran, eine Erzählung um diesen Rama-Tempel zu konstruieren, um die Hindus zusammenzuschweissen. Nichts hilft da mehr als ein gemeinsamer Feind: in diesem Fall der Islam.
Modi nennt die Übeltäter nicht beim Namen, aber die Symbolik ist klar: Mit dem Bau der Moschee wollten die muslimischen Herrscher im 16. Jahrhundert Rama unterdrücken und damit auch die Hindus. Eine Geschichtsverzerrung sondergleichen sei das, sagt die Historikerin Thapar.
Die Wahrheit ist sekundär
Die Hindu-Nationalisten versuchten, die Sicht auf die Vergangenheit zu verändern: «Wer das macht, verändert auch die Sicht auf die Gegenwart.» Der Tempel sei nur ein Beispiel. Die BJP schreibe auch Geschichtsbücher nach ihren Vorstellungen um. «Obwohl die historischen Fakten ihnen widersprechen, erzählen die BJP-Politiker, angefangen beim Premierminister, dass die Hindus über 1000 Jahre unterdrückt worden seien.»
Nun wird der langersehnte Rama-Tempel gebaut. Das ideale Sinnbild einer gemeinsamen Geschichte und späte Genugtuung nach dem Unrecht, das den Hindus widerfahren sei. Mit einer solchen Erzählung kann man Meinungen bilden und Leute hinter sich bringen. Ob diese Erzählung dann auch stimmt, spielt offensichtlich keine Rolle.