- Im Norden Iraks stimmen die Kurden heute darüber ab, ob sie unabhängig werden und einen eigenen Staat bilden wollen.
- Fünf Millionen Menschen werden an den Urnen erwartet. Beobachter gehen davon aus, dass die meisten Ja sagen werden.
- Irak, Iran, die Türkei, die USA und die UNO sind gegen die Abstimmung. Sie befürchten weiteres Chaos im ohnehin instabilen Land.
SRF News: Inga Rogg, Sie sind in Kirkuk, dem Zentrum der nordirakischen Ölproduktion. Wie ist dort die Stimmung heute, am Tag der Abstimmung?
Inga Rogg: Heute Morgen war es ganz ruhig. Überraschend ruhig: Man sieht so gut wie niemanden auf der Strasse. Das ist anders als bei früheren Wahlen im Irak. Etwa bei Parlamentswahlen waren jeweils sehr viel mehr Leute auf den Strassen und strömten zu den Wahllokalen. Das ist heute überhaupt nicht der Fall.
Das heisst, die Wahllokale sind noch ziemlich leer?
Bis jetzt ja. Das wird sich im Laufe des Tages ändern. Vor allem auf kurdischer Seite haben alle Parteien – auch jene, die das Referendum kritisiert hatten – zu einem Ja aufgerufen. Gerade in Kirkuk, wo es für die Kurden um viel geht, gehe ich davon aus, dass sehr viele Kurden zur Urne strömen werden. Sie wollen diese Stadt endlich zu einem teil Kurdistans machen.
Auch wenn sie den Zeitpunkt für die Abstimmung nicht richtig finden, können sie nicht mit Nein stimmen.
Beobachter erwarten ein deutliches Ja. Teilen Sie diese Einschätzung?
Auf jeden Fall, das ist keine Frage. Die Kurden wünschen sich schon lange einen eigenen Staat. Viele, mit denen ich im Vorfeld des Referendums gesprochen habe, sagten, auch wenn sie den Zeitpunkt für die Abstimmung nicht richtig fänden, könnten sie nicht mit Nein stimmen. Sie wollen einen eigenen Staat. Die Frage ist, wie hoch wird die Wahlbeteiligung sein? Und vor allen Dingen: Werden auch die Araber und Turkmenen zur Abstimmung gehen? Werden sie mit Nein stimmen? Werden sie behindert werden, ihre Stimme abzugeben?
Die Zentralregierung in Bagdad hat das Referendum als illegal bezeichnet. Unternimmt sie etwas gegen die Abstimmung?
Die Lage in Kirkuk war in den letzten Tagen sehr angespannt. Im Moment ist es sehr ruhig. Aber die Kurden haben von sich aus Hunderte Sicherheitskräfte in die Stadt gebracht, weil sie befürchten, dass die irakische Regierung oder vor allen Dingen schiitische Milizen die Stadt angreifen könnten. Im Umland von Kirkuk wird gegen den IS gekämpft. Dort gab es vereinzelt Zwischenfälle. Aber davon, dass der irakische Ministerpräsident Abadi Truppen nach Kirkuk schickt, um das Referendum zu stoppen, gehe ich nicht aus, weil er eigentlich keinen Konflikt will.
Das Gespräch führte Monika Glauser.