Der ukrainische Landstrich Transkarpatien grenzt an die Slowakei, Ungarn und Rumänien. Die Gegend ist Heimat zahlreicher Minderheiten und hat eine bewegte Geschichte.
Der Schriftsteller und Übersetzer Bandy Sholtes illustriert dies am Beispiel seiner Grosseltern: Sie wurden in die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn hineingeboren.
Später wurden sie Bürger der Tschechoslowakei, während des Zweiten Weltkriegs waren sie Bürger Ungarns. Und nach dem Krieg gehörten sie zur Sowjetunion. In den 90er-Jahren starben sie als Bürger der Ukraine. Und das alles, ohne je umgezogen zu sein.
Viele wandern aus
Sholtes ist mit der ungarischen Sprache aufgewachsen, die auch in Uschhorod gesprochen wird. Doch Ungarisch wird in der Region immer seltener gesprochen. Von der ursprünglich 150'000 Menschen zählenden ungarischen Minderheit ist rund die Hälfte inzwischen weggezogen.
Mit Diskriminierung habe das nichts zu tun, versichert Sholtes. Vielmehr seien die Freunde nach Ungarn gezogen, um dort zu studieren – und seien hängen geblieben. Oder sie seien der Arbeit und des besseren Lohnes wegen emigriert. Und der Krieg habe diese Auswanderungsbewegung noch beschleunigt.
Rund 70 Kilometer südöstlich von Uschhorod befindet sich die Kleinstadt Berehowe, ungarisch Beregszasz. Der Ort ist das Zentrum der ungarischen Minderheit in Transkarpatien.
Orbán fördert die Abwanderung
An diesem regnerischen Tag wirkt die Innenstadt eher trist. Die beiden Teenager jedenfalls, die wir auf der Strasse ansprechen, wollen nichts wie weg: «Es gibt hier keine Perspektiven, keine Entwicklung, keine Beschäftigung, nichts», sagen sie.
Einer, der nicht wegwill und sich für die hiesigen Ungarn einsetzt, ist Laszlo Zubanics. Auch der Historiker, Journalist und Politiker spricht von der starken Abwanderung in dieser armen Region. Sie werde gefördert durch die Politik des ungarischen Premiers Viktor Orbán, der illegal Pässe an die hiesige ungarische Minderheit habe verteilen lassen.
Ein Grossteil seiner Mitbürger habe eine EU-Staatsbürgerschaft angenommen, insbesondere die ungarische, so Zubanics. Damit haben sie vollen Zugang zum dortigen Arbeitsmarkt, anders als die anderen Ukrainer und Ukrainerinnen.
Auch die Ukraine will in die EU – und ausgerechnet Orbán ist es, der sich dagegen wehrt, indem er auf angebliche Diskriminierung der transkarpatischen Ungarn verweist. Zubanics selber hat allerdings nie Diskriminierung erlebt, wie er selber betont.
Propaganda und Fakenews der Russen
Einzig 2018 habe es Einschüchterungsversuche gegeben von Gruppen von Rechtsextremen mit faschistischen Emblemen. Doch Zubanics sagt, das sei vor allem politische PR gewesen. Versuche, die Lage zu destabilisieren.
Tatsächlich schlägt der ungarischen Minderheit in der Ukraine zum Teil Misstrauen entgegen, man unterstellt ihr separatistische Tendenzen. Doch viele der besagten Ereignisse stellten sich im Nachhinein als russische Provokationen heraus und hatten nichts mit ukrainischen Neonazis zu tun.
Und auch jetzt, zu Zeiten des Krieges, versuchen russische Akteure, mit Falschinformationen die ungarische Minderheit zu verunsichern.
Experten ihrerseits gehen davon aus, dass es in 30 Jahren in dieser Region keine ungarische Minderheit mehr geben werde. «Das wäre sehr traurig», sagt Sholtes in Uschhorod. Denn damit ginge eine mehr als tausendjährige Geschichte zu Ende.