In wenigen Wochen lanciert die Schweiz in New York offiziell ihre erstmalige Kandidatur für den UNO-Sicherheitsrat. Man hätte deshalb annehmen können, Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga würde in der UNO-Generaldebatte Worte wählen, die keiner Regierung missfallen. Denn es sind die Regierungen, welche die Mitglieder des Sicherheitsrats wählen.
Doch genau das tat sie nicht. Zu hören war – Corona-bedingt per Video – keine weichgespülte Rede. Gleich zu Beginn machte sie klar, man dürfe, ja man müsse die UNO kritisieren – auch und gerade im Jahr, da sie ihr 75-jähriges Bestehen feiert. Kriege, mehr Flüchtlinge als je zuvor seit der UNO-Gründung, Klimakatastrophen, Hunger, Armut, die wieder zunehmen, Benachteiligung von Frauen – all das stellt der UNO in der Tat kein gutes Zeugnis aus.
Kritik an Grossmächten
Allerdings: Die Ursache der Probleme liegt laut Sommaruga nicht bei den Vereinten Nationen als Institution, sondern bei ihren Mitgliedsländern. Manche blockierten Beschlüsse, womit Sommaruga, ohne sie explizit zu nennen, die Grossmächte Russland, China und die USA ins Visier nahm. Andere Regierungen setzten Resolutionen nicht um oder verletzten zentrale Prinzipien der UNO-Charta. Für die Bundespräsidentin besteht kein Zweifel: Wer die UNO schwächt, schwächt uns alle. Denn die Ziele der UNO seien «unsere Ziele».
Sommaruga bezog zudem klar Position für den UNO-Strafgerichtshof in Den Haag, der Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen ahndet – für jenen Gerichtshof also, dem wiederum die grossen Mächte USA, Russland und China misstrauisch, ja feindselig gegenüberstehen. Und sie hält es für problematisch, dass die gerade jetzt in der Corona-Bekämpfung zentrale Weltgesundheitsorganisation WHO kaum auf fixe Beiträge bauen kann und deshalb zu achtzig Prozent auf freiwillige Spenden angewiesen ist.
Kritik ohne Pranger
Anders als andere Staats- und Regierungschefs – allen voran US-Präsident Donald Trump – hütete sich Simonetta Sommaruga davor, einzelne Länder namentlich zu nennen und so an den Pranger zu stellen. Aber jene Regierungen, die sie mit ihrer Kritik meinte, dürften das schon mitbekommen haben.
Sie ging also so weit, wie sie gehen konnte, ohne die Schweizer Sicherheitsratskandidatur zu gefährden. Für diese warb sie mit guten Argumenten: mit dem Schweizer Engagement in der UNO, der Schweizer Verpflichtung auf die Ziele der UNO-Charta, und nicht zuletzt mit dem «internationalen Genf», wofür und wodurch die Schweiz viel beiträgt.
Dennoch: Sommarugas UNO-Rede 2020 dürfte nicht überall und nicht allen gefallen haben. Vor allem jenen nicht, die zwar jeweils in der Generaldebatte Lippenbekenntnisse ablegen für die internationale Zusammenarbeit, sich aber tags darauf wieder darum futieren. Auch da braucht man keine Namen zu nennen.