Der Nationalrat hat 2024 beschlossen, die Gelder für das UNO-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge, UNRWA, zu streichen. Nun liegt der Ball beim Ständerat. Der Direktor des UNRWA-Büros fürs Westjordanland und Ostjerusalem, Roland Friedrich, unterstreicht die Bedeutung der Schweizer Hilfe im «Tagesgespräch».
SRF News: Wie wichtig ist die Schweiz für die UNRWA?
Roland Friedrich: Die Schweiz ist traditionell ein sehr wichtiger Geldgeber für die UNRWA. In den letzten Jahren hat sie etwa 20 Millionen Franken pro Jahr für unsere Operationen in der Westbank, im Gazastreifen, in Jordanien, Syrien und im Libanon bezahlt und damit einen entscheidenden Beitrag. Die Schweiz mit ihrer humanitären Tradition ist gerade für eine Organisation enorm wichtig, die in einem politisch aufgeladenen Kontext arbeitet.
Wir sind das Durchführungsorgan der UNO-Generalversammlung, unser Mandat wird so lange verlängert, bis es eine politische Lösung gibt.
Die UNRWA steht immer wieder in der Kritik, sie mache nicht nur humanitäre Arbeit, sondern kümmere sich auch um Bildung und Soziales, berechtigt?
Der Grund, warum wir diese umfangreichen Dienstleistungen anbieten, resultiert daraus, dass es keine politische Lösung des Konflikts gibt. Wir sind das Durchführungsorgan der UNO-Generalversammlung. Unser Mandat wird so lange verlängert, bis es eine politische Lösung gibt. Wenn es diese gibt, könnte die Tätigkeit der UNRWA auf einen palästinensischen Staat oder eine palästinensische Behörde übertragen werden. Unser Ziel ist es, Verantwortung abzugeben. Dazu braucht es aber einen politischen Prozess, der aktuell nicht gegeben ist.
Nach dem Terroranschlag der Hamas vom 7. Oktober auf Israel stellte sich heraus, dass Angestellte der UNRWA beteiligt waren. Wie war das möglich?
Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Wir dulden keine kriminellen und terroristischen Elemente in der Organisation und sind als UNO-Organisation strikt dem Prinzip der Neutralität verpflichtet. Wir haben die Namen der Mitarbeiter regelmässig über Jahre hinweg mit israelischen Behörden geteilt. Bis auf einen Fall wurde uns nie mitgeteilt, dass Vorwürfe gegen Mitarbeitende vorliegen. Wir müssen mit den Behörden vor Ort arbeiten, in diesem Fall vor allem mit dem Staat Israel, weil wir selbst keinerlei nachrichtendienstliche Mittel haben, um solche Informationen zu gewinnen.
Ein anderer Kritikpunkt betrifft die Schulen, die die UNRWA betreibt: Es sollen Schulbücher eingesetzt werden, die antiisraelische und antisemitische Inhalte weitergeben. Wieso dulden Sie das?
Wir sind angehalten, die Schulbücher des Sitzstaates zu benutzen, in Jordanien die jordanischen Schulbücher, in der Westbank, im Gazastreifen die Schulbücher der Palästinensischen Autonomiebehörde. Wir machen das, weil unsere Schülerinnen und Schüler nach der neunten Klasse auf weiterführende Schulen gehen. Die Bücher und Lehrpläne werden jährlich von internationalen Experten überprüft. Eine unabhängige Untersuchung hat gezeigt, dass von den 14'000 Seiten der Lehrbücher etwa 5 Prozent problematisch sind. Wir nehmen das sehr ernst.
Wir führen das Gespräch am 21. Januar, seit zwei Tagen ist die Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas in Kraft. Wie hat sich seit dem Waffenstillstand die Arbeit der UNRWA verändert?
Seit dem ersten Tag des Waffenstillstands konnten wir zusammen mit anderen Partnerorganisation wesentlich mehr Hilfsgüter in den Gazastreifen einführen. Gestern waren es bereits 940 Lkw. Das ist ein enormer Fortschritt und zeigt: Wenn der Wille der Konfliktparteien und aller beteiligten Akteure da ist, humanitäre Hilfe zu leisten, kann diese auch geleistet werden.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.