Die Hoffnung ist zerschellt. In kürzester Zeit. Die Hoffnung, dass die Taliban sich nach ihrer ersten finsteren Phase an der Macht von 1996 bis 2001 ein klein wenig geöffnet hätten, geringfügig moderater geworden seien. Einzelne Taliban-Vertreter äusserten sich entsprechend.
Doch das war gestern. Heute, so die UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, erlebten Frauen und Mädchen, «dass all die Fortschritte der letzten Jahre rückgängig gemacht werden. Die Welt muss sich weitaus stärker einsetzen für ihre Rechte.»
In meiner Heimat sind Frauen heute erneut unsichtbar. Das ist doch nicht normal.
Die Liste der Unterdrückung ist lang: Keine Schulen für Mädchen ab der sechsten Klasse – und damit null Berufschancen als Ärztinnen, Lehrerinnen, Anwältinnen oder Managerinnen. Schliessung von Firmen, die von Frauen geführt werden. Verheiratung von Kindern. Vollverschleierung. Fast keine Bewegungsfreiheit. Und natürlich keinerlei politischen Rechte.
«In meiner Heimat sind Frauen heute erneut unsichtbar. Das ist doch nicht normal», sagt die afghanische Politikerin Fawzia Koofi. Nirgendwo auf der Welt sei die Lage der Frauen schlimmer als in Afghanistan, unterstreicht dessen Botschafter Nasir Ahmad Andischa. Er wurde noch von der früheren, demokratisch gewählten Regierung ernannt und vertritt weiter sein Land bei der UNO. Das neue Taliban-Regime ist international nicht anerkannt.
Worte und Taten der Taliban-Führer klafften weit auseinander, klagt der neue UNO-Sonderberichterstatter Richard Bennett, der eben in Afghanistan war: «Regierungsvertreter haben mir zugesichert, dass sich die Taliban-Führung an die Menschenrechte hält, zumindest im Rahmen des islamischen Rechtes.»
Tatsächlich gehen die Restriktionen für Frauen weit über das hinaus, was der Koran vorschreibt. Die Politikerin Fawzia Koofi appelliert daher in erster Linie an muslimische Regierungen, Einfluss auf die Taliban auszuüben, da diese den Islam pervertierten.
Männer feiern Machtübernahme
Doch es wird schwierig sein, Gehör zu finden, bei den Falken unter den Taliban, die klar die Oberhand in der Führung errungen haben. Das zeigt die aktuelle Grossversammlung in Kabul, wo die Spitze der Radikalislamisten – samt und sonders Männer – triumphal ihren Sieg feiert.
Mitsamt ihrem sonst kaum je öffentlich auftretenden obersten Führer Hibatullah Akhundzada. Seine Botschaft an die Welt: Mischt Euch nicht ein! Wir hören einzig auf Allah, den Allmächtigen. Zwar ruft er die Wirtschaft auf, in Afghanistan zu investieren – doch ausländische Entwicklungshilfe will er nicht. Sie mache bloss abhängig.
Andere Taliban-Vertreter fordern jedoch humanitäre Unterstützung. Erst recht nach der jüngsten Erdbebenkatastrophe. «Jegliche Hilfe muss nicht zuletzt die Frauen erreichen», fordert UNO-Vertreter Bennett. Hilfe und Investitionen zu verknüpfen mit Forderungen an die Taliban, das Los von Frauen und Mädchen zu verbessern, lautet das meistgehörte Rezept.
Bloss sind Regime wie dieses notorisch dafür, lieber ihre Bevölkerung auszubluten als politische Zugeständnisse zu machen. Erst recht, wenn mächtige Länder ihnen den Rücken stärken. So kritisierte etwa der chinesische Botschafter bei der UNO, Chen Xu, vor allem den Westen, weil er Druck mache auf die Taliban. Und er verlangte, die souveränen Entscheidungen des afghanischen Volkes zu respektieren. Als seien die Taliban eine frei gewählte Regierung.