Die Taliban wollen an der derzeit stattfindenden UNO-Generaldebatte eine Rede halten. Sie argumentieren, dass die alte Regierung von Ashraf Ghani gestürzt sei und sie jetzt die rechtmässigen Herrscher seien. Ob diese Forderung eine Chance hat, weiss der UNO-Kenner und Journalist Andreas Zumach.
SRF News: Hat die Bitte der Taliban zur UNO-Debatte zugelassen zu werden, eine Chance?
Andreas Zumach: In diesem Jahr sicher nicht. Die Mehrheit der Staaten im Beglaubigungsausschuss – er entscheidet darüber, welche Vertreter eines Staates von der UNO anerkannt werden – ist dagegen. Zwar sind die Taliban keine Terrororganisation, wie das teilweise behauptet wird. Sie werden von der UNO nicht wie «Al Kaida» oder der «Islamische Staat» als solche eingestuft.
Kein einziges Land hat die Taliban bislang als Regierung Afghanistans anerkannt.
Trotzdem hat bislang keine einzige Regierung der restlichen 193 UNO-Staaten die Taliban als neue afghanische Regierung anerkannt. Und das wiederum wird das entscheidende Kriterium sein, ob sie auch von der UNO anerkannt wird.
Wie ist die UNO bislang in vergleichbaren Fällen vorgegangen?
1996 bis 2001 waren die Taliban in Afghanistan bekanntlich erstmals an der Macht. Sie wurden damals zwar von drei Ländern – Saudi-Arabien, Sudan und Pakistan – als Regierung anerkannt. Trotzdem vertrat der Botschafter der Vorgängerregierung Afghanistan auch in dieser Zeit bei der UNO. Auch damals konnten die Islamisten nicht durchsetzen, dass ihr eigener Vertreter zum Zug kommt.
Ein anderes Beispiel ist Myanmar: Noch vor dem neuesten Putsch hatte ein neuer Vertreter der Regierung seinen Posten bei der UNO in New York angetreten, der die Putschisten denn auch scharf kritisierte. Die Militärregierung versuchte daraufhin, denn Mann zu ersetzen, was der Beglaubigungsausschuss bis heute ablehnt.
Welchen Zweck hat die Rede des bisherigen afghanischen Vertreters vor der UNO am nächsten Montag denn unter den neuen Umständen noch?
Derzeit bezeichnet sich die Taliban-Regierung auch selber noch als Übergangsregierung. Sie hatten versprochen, eine breit abgestützte Regierung zu bilden, die alle Volksgruppen Afghanistans beinhalten soll.
Der offizielle Botschafter Afghanistans bei der UNO wird in seiner Rede eine inklusivere Regierung fordern.
Der Botschafter Afghanistans bei der UNO wird seine Redezeit deshalb wohl zu nutzen, erneut eine solche inklusivere Regierung zu fordern, ebenso wie die Beachtung der Menschenrechte. Er darf sich dabei grossen Supports durch viele Regierungsvertreter bei der UNO sicher sein – und das nicht nur von westlichen Regierungen.
Könnte die UNO einen möglichen Auftritt der Taliban in New York eventuell an bestimmte Bedingungen knüpfen, welche die neuen Machthaber in Afghanistan einhalten müssten?
Hinter den Kulissen dürfte dies durchaus das politische Spiel sein, das jetzt gespielt wird. Auch öffentlich dürften in den nächsten Wochen und Monaten Forderungen wie die Einbindung aller Religionsgruppen oder der Frauen in die Regierung durchaus erhoben werden, um zu versuchen, die Lage in Afghanistan tendenziell zu verbessern.
Die Verhinderung einer grossen Hungerkatastrophe ist derzeit dringender.
Im Moment ist aber die humanitäre Versorgung der Notleidenden in Afghanistan sowie die Verhinderung einer grossen Hungerkatastrophe mit möglicherweise vielen Zehntausenden Toten dringender. Dabei würde es die Kommunikation zwischen den Hilfsorganisationen der UNO und des IKRK mit den afghanischen Behörden sicher erleichtern, wenn in Kabul eine international anerkannte Regierung sitzen würde. Bis dahin dürfte es allerdings noch länger dauern.
Das Gespräch führte Roger Aebli.