- In Irak hat der Geistliche Muktada al-Sadr seinen Rückzug aus der Politik angekündigt.
- Nach der Ankündigung Schiitenführers gingen in der Hauptstadt Bagdad Anhänger Sadrs auf die Strasse. Einige drangen in den Regierungspalast ein.
- Mindestens 15 Personen kamen ums Leben, über 200 wurden verletzt.
- Die Armee verhängte eine landesweite Ausgangssperre.
Bereits zum zweiten Mal seit 2014 kündigte der 48-jährige Muktada al-Sadr seinen Rückzug aus der Politik an. «Ich hatte beschlossen, mich nicht in politische Angelegenheiten einzumischen, aber jetzt kündige ich meinen endgültigen Ruhestand und die Schliessung aller Einrichtungen an», twitterte er. Ausgenommen seien mit ihm direkt verbundene religiöse Einrichtungen. «Wenn ich sterbe oder getötet werde, bitte ich um eure Gebete.»
Sadr hatte mit seiner Partei im Oktober die Parlamentswahlen gewonnen. Es gelang ihm allerdings nicht, eine Regierung zu bilden. Im Juni zog er daher seine Abgeordneten im Parlament ab und forderte Neuwahlen.
Demonstranten belagern Regierungspalast
Keine zwei Stunden nach der Ankündigung strömten Demonstranten in die Grüne Zone. Einige trugen Fotos Sadrs. «Dies ist eine Revolution des Volks, keine Sadristen-Bewegung», riefen einige. Andere forderten den «Sturz des Regimes». Die Protestler beseitigten Barrieren und kletterten über Zäune. Sicherheitskräfte versuchten, die Menge mit Wasserwerfern auseinanderzutreiben. Die Belagerung des Palasts ging trotz Ausgangssperre weiter.
In dem Regierungspalast in der eigentlich hoch gesicherten Grünen Zone liegt unter anderem das Büro von Ministerpräsident Mustafa al-Kasimi. Damit spitzt sich die politische Krise in Irak weiter zu, nachdem Demonstranten vor einem Monat bereits in das Parlamentsgebäude eingedrungen waren.
Politische Pattsituation
Regierungschef Al-Kasimi setzte alle Sitzungen des Kabinetts bis auf Weiteres aus. Er sprach von «gefährlichen Entwicklungen» und «ernsthaften Folgen anhaltender politischer Differenzen». Er forderte Sadr auf, die Demonstranten zur Ordnung zu rufen. In Dhi Kar im Süden stürmten seine Anhänger ein Gebäude der Provinzregierung. Andere zündeten dort auf der Strasse Autoreifen an.
Irak steckt seit Monaten in einer tiefen politischen Krise. Diese hatte sich nach der Parlamentswahl vor rund zehn Monaten immer weiter verschärft. Sadrs Bewegung ging damals als klarer Wahlsieger hervor, konnte jedoch nicht die wichtige Zweidrittelmehrheit erreichen, die für die Präsidentenwahl erforderlich ist. Erst mit der Unterstützung des Staatschefs kann eine neue Regierung gebildet werden. Damit entstand eine politische Pattsituation.
Nähe zum Iran schafft Differenzen
Die USA hatten nach dem Sturz von Langzeitdiktator Saddam Hussein ein Proporzsystem eingeführt, wonach der Präsident immer ein Kurde, der Ministerpräsident ein Schiit und der Parlamentspräsident ein Sunnit ist. Ausserdem wollte Sadr den Einfluss schiitischer Parteien zurückdrängen, die von Iran unterstützt werden.
Mit «Druck von der Strasse» und einer Stürmung des Parlaments wollte die Sadr-Bewegung schliesslich verhindern, dass ihre politischen Gegner um Ex-Regierungschef Nuri al-Maliki, die eine grosse Nähe zu Iran haben, eine Regierung bilden können. Zuletzt hatte der Religionsführer Neuwahlen gefordert. Seine Rivalen stellten unterdessen einen eigenen Kandidaten als Premier vor, den Sadr wegen dessen Nähe zu Maliki ablehnt.