Schon seit Wochen wird das hochgesicherte Regierungsviertel in Bagdad, die sogenannte Grüne Zone, belagert – durch Anhängerinnen und Anhänger des einflussreichen Geistlichen Muqtada As-Sadr. Dessen Bündnis hatte im Herbst die Parlamentswahlen gewonnen, eine Regierung zu bilden, gelang ihm jedoch nicht. Nun fordert As-Sadr Neuwahlen und eine neue Verfassung.
Gegenüber demonstriert das andere Lager, die Anhängerschaft von Ex-Premier Nuri Al-Maliki, der dem Iran nahesteht. Dem Land, das seit Jahren immensen Einfluss auf den Irak ausübt.
Zunächst zu den Sadristen: Hunderte von Demonstranten sitzen bei 48 Grad Hitze auf dem Asphalt. Ihr einziger Schutz vor der gleissenden Sonne sind Regenschirme – und die Unmengen von kaltem Wasser, das As-Sadrs Helfer unablässig verteilen.
Trotz der Gluthitze: die Männer verpassen keinen Einsatz für die Sprechchöre, zu denen sie der Prediger auffordert.
«Ja zum Irak!» rufen sie, und «nein zur Korruption!» Auffallend viele Kinder und Jugendliche sitzen in der Menge betender Männer oder treiben sich zwischen den Ständen herum, wo As-Sadrs Helfer grosszügig Essen verteilen. Man sieht den Jugendlichen an, wie hungrig sie sind – und wie verzweifelt.
«Mit den Parteien, die jetzt an der Macht sind, gibt es im Irak keine Zukunft», sagt ein 17-Jähriger. «Aber so Gott will, As-Sadr wird das ändern!»
Die Männer und die wenigen Frauen, die seit drei Wochen vor der Grünen Zone ausharren, und zu Beginn ihres Protests sogar das Parlament stürmten, feiern As-Sadr als letzte Hoffnung für eine bessere Zukunft.
«Es ist unsere letzte Chance,» sagt ein Mitdreissiger. Die letzte Chance, Premier Al-Malikis gierigen Machtapparat zu zerschlagen, erklärt ein Ingenieur. «Sie haben unser Land gestohlen, unsere Landwirtschaft, unsere Fabriken zerstört. Sie haben unser Öl gestohlen und den Irak zerstört. Warum?» Trotz der Wut, die Stimmung ist friedlich.
Das andere Lager
Ebenso friedlich ist sie auf der anderen Seite, im Zeltlager der Anhänger Al-Malikis. Auch hier fehlt es den Demonstranten an nichts: Speis und Trank sind gratis, in den Zelten surren Ventilatoren neben Matratzen, wo sie sich ausruhen und etwas abkühlen können. Aus den Lautsprechern ertönen unaufhörlich Gebete.
Den Al-Maliki-Anhängern geht es ähnlich schlecht wie den Sadristen: sie leiden unter Arbeitslosigkeit, Strom- und Wassermangel, einer miserablen Staatsverwaltung.
Doch während die Führungsriege der Sadristen Interviewanfragen von SRF mehrmals mit der Begründung «keine Zeit» ablehnt und die einfachen Leute sprechen lässt, will die Führungsriege des Al-Maliki Lagers selbst reden.
Gefahr eines Bürgerkriegs
Eine wichtige Figur, Sheikh Hadier Al-Lamee, kennt As-Sadr seit der Studienzeit. Er sagt: «Wir haben sogar vier Jahre zusammen in Iran studiert.». Und meint: Weil er ihn kenne, wisse er, was für ein gefährlicher Populist As-Sadr sei. «Wer die Korruption bekämpfen will, soll erst vor der eigenen Haustüre wischen. Wer keine Ehre hat, kann nicht über Ehre sprechen, wer nicht tapfer ist, soll nicht über Mut sprechen.»
Sein Hauptvorwurf an Sadr: Er entzweie die schiitische Bevölkerung im Irak, was ein lachender Dritter ausnützen könnte, um einen Bürgerkrieg zu entfachen. «Ein solcher Krieg hätte keine Sieger: Die Verlierer wären der Irak und die gesamte Region.»
Auf die Frage, wie die Eskalation zu einem Bürgerkrieg verhindert werden könne, hat die Parlamentsabgeordnete Tanna al-Rubiay nur eine Antwort: «Seitdem Al-Maliki zurücktreten musste, ging es mit dem Irak nur bergab. Eine neue Regierung zu bilden ist die einzige Lösung», sagt die Al-Maliki-Anhängerin. Genau das schaffen die zerstrittenen politischen Lager jedoch seit bald einem Jahr nicht.
Erst als die wichtigen Leute im Al-Maliki-Lager gegangen sind, wagt ein 13-jähriger Junge etwas zu sagen: «Ich habe Angst vor der Zukunft.»