Vor den Abstimmungslokalen in Ägypten haben sich lange Warteschlangen gebildet. «Die Menschen wollen mit ihrer Teilnahme ein Zeichen setzen gegen Mursi und die Muslimbrüder», sagt Astrid Frefel. Sie ist Journalistin und lebt in Kairo. Vor manchen Wahllokalen hätten die Leute bis zu drei Stunden Wartezeit auf sich genommen, um ihre Stimme abzugeben.
«Die Leute wollen Sicherheit»
Heute und am Mittwoch entscheiden die Ägypter über eine neue Verfassung – bereits zum dritten Mal seit dem Sturz des Langzeit-Herrschers Hosni Mubarak.
In Ägypten wird ein Ja erwartet, wie SRF-Korrespondent Pascal Weber in der «Tagesschau» sagt. Die Leute haben genug von gewalttätigen Protesten und der Unsicherheit. Sie wollen Ruhe und Sicherheit – genau das verspreche die neue Verfassung, so Weber.
Zu den Manipulationsvorwürfen erklärt Weber: Eine Möglichkeit für Gegenstimmen habe es nicht gegeben. Kritiker seien nicht in TV-Shows eingeladen worden, andere wurden verhaftet. «Auch wenn in der Verfassung die Grundrechte ausgeweitet wurden – der Geist, der auf der Strasse herrscht, zeigt in eine andere Richtung.»
Überarbeitete Mursi-Version
Die neue Verfassung ist eine überarbeitete Version des Dokuments, das Mursi vor etwas mehr als einem Jahr nach einer Volksabstimmung unterzeichnete. Ausgearbeitet wurde der neue Text diesmal aber nicht von den Muslimbrüdern, sondern von Vertretern der Regierung und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens.
Umstrittene Passagen mit einer stark islamistischen Ausrichtung wurden entfernt, die Machtbefugnisse vor allem des Militärs, der Justiz und der Polizei deutlich gestärkt. Kritiker sehen in dem Verfassungsentwurf deshalb vor allem den Versuch der Armee, ihre Macht abzusichern und ihren Einfluss auf die Politik zu vergrössern.
Armee und Verfassungsbefürworter hingegen bezeichneten die zweitägige Abstimmung als Meilenstein auf dem Weg zur Demokratie. Experten verweisen auch darauf, dass der Text die Bürger- und Minderheitenrechte stärkt und «die Gleichheit von Frau und Mann in allen zivilen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten» schützt.
Muslimbrüder boykottieren Abstimmung
Die Abstimmung wird von den Muslimbrüdern und ihren Anhängern boykottiert. Sie wehren sich immer noch gegen die Absetzung ihres Präsidenten, Mohammed Mursi. Er ist seit letztem Juli in Gewahrsam der Militärs.
Der Boykottaufruf wird offenbar befolgt: Sie habe kaum Leute vor den Wahllokalen gesehen, welche man den Muslimbrüdern zurechnen könnte, erklärt die Journalistin Astrid Frefel.
Die islamistische Organisation hatte überdies zu Demonstrationen gegen die Militärregierung aufgerufen. «Es ist aber nicht so, dass diese Kundgebungen das Referendum beeinträchtigen oder wirklich stören könnten», schätzt Frefel.
Tote trotz Sicherheitsvorkehrungen
Der Urnengang findet unter grossen Sicherheitsvorkehrungen statt. 160'000 Soldaten und 200'000 Polizisten seien im Einsatz, um die rund 30'000 Wahllokale zu schützen, berichteten der britische Nachrichtensender BBC.
Trotzdem starb bei einer Demonstration in Bani Suef im Süden von Kairo eine Person. Auch aus dem Kairoer Stadtteil Gizeh wurde ein Todesopfer gemeldet, während im oberägyptischen Soha bei Zusammenstössen drei Menschen getötet wurden.
Zudem explodierte kurz vor Öffnung der Wahllokale vor einem Gerichtsgebäude in Kairo ein Sprengsatz. Dabei wurde aber niemand verletzt.