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Urteil in Frankreich Die Präsidentschaft rückt für Marine Le Pen in weite Ferne

«Das Gericht hat entschieden, dass die Nichtwählbarkeit für die Verurteilten per sofort gilt.» Kaum hat die Gerichtspräsidentin diese Worte ausgesprochen, erhebt sich Marine Le Pen von ihrem Sitz in der ersten Reihe und stürmt aus dem Gerichtssaal.

Dies, obwohl die Urteilsverkündung noch lange nicht vorbei ist. Die Strafe von Marine Le Pen wird erst eine halbe Stunde später verkündet – in Abwesenheit der Angeklagten. Dies ist genauso ausserordentlich wie die politischen Auswirkungen, die das Urteil hat.

Parteipräsident Bardella in den Startlöchern

Es bedeutet, dass Marine Le Pen höchstwahrscheinlich nicht an den nächsten Präsidentschaftswahlen teilnehmen kann. Le Pen, die sich seit Jahren auf eben diese Wahlen vorbereitet und bis zum Gerichtsurteil gemäss Umfragen die meisten Stimmen erhalten hätte in einem ersten Wahlgang.

Die Chefpolitikerin des Rassemblement National kann noch hoffen, dass das Urteil in zweiter Instanz rasch kommt und nicht so hart ausfällt oder dass der Verfassungsrat die Nichtwählbarkeit aus demokratischen Gründen zurückweist.

Oder sie macht eine Flucht nach vorne – und ernennt den Parteipräsidenten, Jordan Bardella, zum Ersatzkandidaten für die Präsidentschaftswahlen 2027. Der erst 29-jährige EU-Abgeordnete war nicht angeklagt und ist besonders bei der jüngeren Generation sehr beliebt. Ausserdem ist er Marine Le Pens politischer Ziehsohn, durch den sie indirekt weiterhin Macht ausüben könnte.

Mutiger Entscheid mit ungewissen Folgen

Paradoxerweise könnte das Urteil der rechtspopulistischen Partei noch mehr Aufwind geben, denn das Argument, dass Marine Le Pen und das Rassemblement National ein Opfer der Justiz sind, könnte in Teilen der Gesellschaft verfangen.

Die Justiz wolle mit dem Urteil die französische Demokratie aushebeln, um eine Präsidentschaft von Le Pen zu verhindern, wurde von der Partei bereits vor der Verurteilung aufgenommen und wird jetzt breit gestreut.

Das Gericht hätte dieses politische Erdbeben auch verhindern können: mit einem Verzicht auf die sofortige Nichtwählbarkeit. Es hat sich dagegen entschieden und dies auch ausführlich begründet: fast alle Angeklagten seien uneinsichtig geblieben bis am Schluss und würden die Vorwürfe trotz unzähligen Beweisen bestreiten. Dies führe dazu, dass es nicht auszuschliessen sei, dass sie rückfällig würden – und mit der sofortigen Anwendung wolle das Gericht dies verhindern. 

Dies ist ein mutiger Entscheid – was er genau auslösen wird in der französischen Politwelt und der Gesellschaft, ist noch nicht absehbar. Die Debatte wird er aber prägen und er riskiert noch tiefere Risse in die bereits stark gespaltene Gesellschaft zu graben.

Mirjam Mathis

Frankreich-Korrespondentin

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Mirjam Mathis ist seit 2022 SRF-Korrespondentin in Frankreich (Paris). Zuvor arbeitete sie als Korrespondentin in der Westschweiz.

SRF 4 News, 31.3.2025, 11:30 Uhr;stal

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