Es ist ein historisch aufgeladenes Datum: 9/11. Bis zu diesem Stichtag wollen die USA ihre Truppen aus Afghanistan abziehen. Das sind die drängendsten Fragen.
Wie sind die Reaktionen auf die US-Ankündigung? US-Aussenminister Antony Blinken hat die Entscheidung von Präsident Joe Biden verteidigt. Man habe mit den Verbündeten die Ziele erreicht, die man sich gesteckt habe, sagte er am Rande eines Gespräches mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in der Bündniszentrale in Brüssel.
Von afghanischer Seite wurde teils grosse Enttäuschung über die US-Entscheidung geäussert. Es sei das «Verantwortungsloseste und Egoistischste», was Amerika seinen Partnern habe antun können, sagte ein Mitglied des Verhandlungsteams bei den Friedensgesprächen in Doha der Nachrichtenagentur DPA.
Laut SRF-Südasien-Korrespondent Thomas Gutersohn wäre der Regierung ein Verbleib der westlichen Truppen lieber gewesen. Im Volk sei man sich jedoch uneins über deren Verbleib. «Sie sind nicht mehr so beliebt, wie sie es am Anfang der Intervention waren.»
Welche Risiken birgt die Entscheidung? Als Horrorszenario gilt, dass die Taliban mit Gewalt die Macht übernehmen könnten. Für die junge Demokratie würde eine solche Entwicklung wohl das Aus bedeuten. Es dürfte zu Rückschritten bei Frauenrechten und Meinungs- und Medienfreiheit kommen.
Ein US-Regierungsvertreter kündigte an, die USA würden mit der internationalen Gemeinschaft alles unternehmen, um die Errungenschaften zu schützen.
Können die afghanischen Sicherheitskräfte bestehen? Die afghanischen Spezialkräfte und die Luftwaffe haben in den vergangenen Jahren grosse Fortschritte gemacht. Afghanische Militärs und Sicherheitsbeamte sind zuversichtlich, die von der Regierung kontrollierten Gebiete halten zu können – solange sie finanziell weiter vom Ausland unterstützt werden.
Anders sehen das die ausländischen Partner, die die Streitkräfte ausgebildet haben. Nach Einschätzung des deutschen Verteidigungsministeriums sind die afghanischen Sicherheitskräfte «trotz aller Anstrengungen noch nicht selbsttragend in der Lage, flächendeckend für Sicherheit zu sorgen». Im aktuellen Jahresbericht der US-Geheimdienste hiess es, der afghanischen Regierung werde es ohne ausländische Truppen schwerfallen, «die Taliban in Schach zu halten».
Wieso dauert die Gewalt weiter an? Seit Abschluss des Abkommens in Doha im Februar 2020 haben die USA und die Taliban einander nicht mehr in Offensiv-Operationen angegriffen. Kein ausländischer Soldat kam seither bei Kampfhandlungen ums Leben. Anders sah es für die afghanischen Regierungskräfte und Zivilisten aus. Hier änderte sich die Art der Gewalt. Griffen die Taliban früher in grossen Städten mit Autobomben und Kämpfern in oft stundenlang dauernden Attacken an, so setzten sie seit dem USA-Taliban-Abkommen auf Nadelstiche.
Kommen die Taliban wieder an die Macht? «An ihnen führt kein Weg mehr vorbei in Afghanistan», sagt Gutersohn. Den Islamisten bringe der US-Truppenabzug Vorteile: Militärisch könnten die afghanischen Truppen ihre Position bestenfalls halten; und die Taliban würden diplomatisch an Oberwasser gewinnen. Denn ohne die US-Präsenz in Afghanistan könnten sie in Verhandlungen selbstbewusster auftreten. «Die Hoffnung wäre, die Taliban eine demokratische Struktur einzubinden.» An ihrem erklärten Ziel ändert das aber nichts: Sie wollen wieder ein Emirat in Afghanistan errichten.