US-Präsident Donald Trump lässt die Botschaft seines Landes in Israel von Tel Aviv nach Jerusalem verlegen und Israel feiert den 70. Jahrestag seiner Staatsgründung. Die Palästinenser in den besetzten Gebieten gedenken gleichzeitig der Nakba, der Vertreibung. Politisch seien sie tief gespalten, sagt die Nahost-Korrespondentin der «Süddeuschen Zeitung», Alexandra Föderl-Schmidt. Eine Zweistaatenlösung scheine vom Tisch und sei höchstens noch in Europa ein Thema.
SRF News: Der Status Jerusalems ist einer der grössten Streitpunkte im Nahost-Konflikt. Was bedeutet der Umzug der US-Botschaft für den Verhandlungsprozess zwischen Israel und den Palästinensern?
Alexandra Födel-Schmid: Es ist mehr als ein symbolischer Schritt für die Palästinenser. Mit dem Umzug der US-Botschaft ist klar, dass ein eigener Palästinenserstaat in weite Ferne gerückt ist.
Vielleicht springen die Europäer als Vermittler ein.
Auch der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat gestern Abend gesagt, damit sei sicher, dass Jerusalem für immer die ewige Hauptstadt Israels sei. Das zeigt, dass ein Friedensprozess zumindest auf absehbare Zeit nicht mehr möglich ist. Die Palästinenser weigern sich zudem, an den Verhandlungstisch zurückzukehren.
Mahmud Abbas ist der Palästinenserpräsident und Vorsitzender der stärksten Partei, der Fatah. Was bedeutet der Umzug der US-Botschaft für seine Politik?
Seine Politik ist gescheitert. Er ist 83 Jahre alt und gesundheitlich angeschlagen. Um ihn gibt es eine sehr korrupte Clique. Das grosse Projekt eines Friedensschlusses schafft er nicht mehr. Man wird auf einen Nachfolger warten müssen. Vielleicht springen die Europäer als Vermittler ein. Aber im Moment, für absehbare Zeit, ist dieser Friedensprozess schlicht und einfach tot.
Die andere starke Partei in den palästinenischen Gebieten ist die radikal-islamische Hamas. Sie stellt die Regierung im Gazastreifen. In den letzten Wochen kam es erneut zu Konflikten zwischen israelischen Sicherheitskräften und Palästinensern im Gazastreifen.
Die Hamas hat in den vergangenen Tagen wirklich alles getan, um die Stimmung noch anzuheizen. Der Hamas-Chef hat indirekt dazu aufgerufen, am Jahrestag die Grenze zwischen dem Gazastreifen und Israel zu stürmen. Sie ist seit vielen Jahren abgeriegelt. Auf der israelischen Seite sind viele Scharfschützen positioniert. Die israelische Armee hat gesagt, dass sie das Truppenkontingent dort verdoppelt habe. Man kann sich vorstellen, was das bedeutet. In den vergangenen sieben Wochen gab es schon 54 Tote.
Die Hamas hat in den vergangenen Tagen wirklich alles getan, um die Stimmung noch anzuheizen.
Das lässt für den heutigen und morgigen Tag und vielleicht auch für die Tage danach nichts Gutes erwarten. Die Hamas versucht, diese Proteste für ihre Zwecke zu nutzen. Ihr Rückhalt in der Bevölkerung ist sehr stark zurückgegangen, weil die ökonomische Situation sehr schwierig ist. Das wird im Gazastreifen auch der Hamas angelastet. Im Machtkampf mit der Fatah gibt es nicht wirklich eine Bewegung. Das sogenannte Versöhnung-Abkommen zwischen den beiden Parteien stockt in der Umsetzung, weil die Hamas die Macht im Gazastreifen nicht abgeben will.
Die Hamas und die Fatah haben ein schwierigis Verhältnis. Kann die neue Ausgangslage helfen, die beiden Lager zu einen?
Man hat sich für die nächsten Tage auf das eine Ziel verständigt, nämlich, dass man ein Signal gegen die Botschaftsöffnung und gegen die Anerkennung von Jerusalem als Hauptstadt Israels setzen will. Aber das wars dann auch schon. In den vergangenen Wochen gab es nur im Gazastreifen Proteste, nicht im Westjordanland. Der Protest richtet sich gegen die USA und gegen Israel – heute wird auch der 70. Jahrestag der Staatsgründung Israels gefeiert – und morgen wird an Nakba erinnert.
Die Palästinenser sind politisch gespalten.
Der 15. Mai ist der Tag, an dem die Palästinenser an ihre Flucht und Vertreibung in diesem Zusammenhang erinnern. In diesen Protesten ist man vereint. Aber sonst ist man politisch gespalten.
Sie waren in den letzten Wochen oft in den palästinensischen Gebieten unterwegs. Was erwartet die Bevölkerung dort noch von der Politik?
Sowohl im Gazastreifen als auch im Westjordanland herrscht sehr viel Frust. Die Führung kann nicht wirklich eine Perspektive aufzeigen. Weder ist eine ökonomische Verbesserung in Sicht noch das grosse politische Ziel. Ein eigener Staat wird den Palästinensern seit 70 Jahren versprochen. Es gab auch viele Chancen dafür, die die Palästinenser nicht genützt haben. Schon vor 70 Jahren sah der UNO-Teilungsplan einen Staat Israel und einen Staat für die Palästinenser vor. Doch damals waren die arabischen Staaten dagegen und haben noch in der Nacht den neuen Staat Israel angegriffen. Es gab immer wieder Gelegenheiten. Sie sind verpasst worden.
Es gab viele Chancen für einen eigenen Staat, die die Palästinenser nicht genützt haben.
Die Menschen sind frustriert und enttäuscht. Diese Proteste sind nicht immer gesteuert, auch nicht im Gazastreifen. Da entlädt sich einfach sehr viel Frust. Die Arbeitslosenquote der unter 24-Jährigen liegt bei über 60 Prozent. Offiziell zeigt das, dass viele schlicht keine Perspektive haben.
Der Status Jerusalems ist einer der ganz grossen Konfliktpunkte in der Debatte um eine Zweistaatenlösung. Ist eine solche aktuell unwahrscheinlicher denn je?
Ja, sie ist unwahrscheinlicher denn je. Denn es werden einfach Fakten geschaffen. Mittlerweile leben 600'000 Siedler in etwa 200 Siedlungen im Westjordanland. Sie wohnen auf Land, das eigentlich den Palästinensern versprochen worden ist. Da werden schlicht und einfach Fakten geschaffen.
Eine Zweistaatenlösung ist unwahrscheinlicher denn je
Das Problem ist, dass nur noch die Europäer das Wort Zweistaatenlösung in den Mund nehmen. In Israel und in den palästinensischen Gebieten hält sich die Hoffnung auf eine Umsetzung in Grenzen. Es wird auch über ein Ein-Staat-Modell diskutiert, aber da ist die Frage, welche Rechte die Palästinenser haben. Das Modell ist zwar noch eine Option, aber vor allem in den Köpfen der Europäer.
Das Gespräch führte Roger Aebli.