Das Wichtigste in Kürze
- Der nordkoreanische Diktator Kim Jong-un und US-Präsident Donald Trump treffen sich am 12. Juni in Singapur.
- Der Gipfel wird ein diplomatisches Ereignis der Superlative. Offen bleibt, wie realistisch substanzielle Fortschritte in der Nordkorea-Krise sind.
- Der ehemalige Nordkorea-Berater von George W. Bush sieht Chancen – warnt aber auch vor Risiken des unberechenbaren Treffens.
Drei Jahre lang verhandelte Victor Cha als Vertreter der Bush-Regierung mit Nordkorea. Was hat er aus der Erfahrung damals gelernt? «In allen Verhandlungen dieser Art braucht es politischen Willen. und zwar auf höchster Ebene, sonst kommt man nirgendwohin», sagt Cha.
Diesen politischen Willen sieht Victor Cha heute eher als gegeben. In den USA, weil die nukleare Bedrohung durch Nordkorea angewachsen ist. Und in Nordkorea, weil viel strengere Sanktionen den Leidensdruck erhöhen. «Beiden Seiten ist schmerzhaft bewusst, dass die bisherigen Konfliktlösungsansätze gescheitert sind», sagt Victor Cha.
Das führe zur Argumentation, dass man etwas anderes versuchen müsse: «Aber dazu braucht es Führungsfiguren, die gewillt sind das umzusetzen. Und die haben wir. Donald Trump und Kim Jong-un folgen nicht dem gängigen Drehbuch.»
Trumps Unberechenbarkeit am eigenen Leib erfahren
Cha spricht aus eigener Erfahrung mit der Trump-Regierung. Eigentlich war der Republikaner letzten Dezember als neuer US-Boschafter in Südkorea vorgesehen. Doch in letzter Minute kam es zum Abbruch der Nominierung, weil – wie vermutet wird – Cha einen möglichen militärischen US-Angriff auf Nordkorea als zu riskant ablehnte.
Man hat Trump gesagt, Nordkorea sei die grösste sicherheitspolitische Herausforderung in seiner ersten Amtszeit, und die will er offenbar angehen.
Jedenfalls warnte Cha kurz danach in der Kommentarspalte der «Washington Post» eindringlich vor den Kosten eines solchen Militäreinsatzes. Und wie schätzt er die Lage heute ein? «Sie ist zwar unvollkommen, aber deutlich verbessert», glaubt Cha. Denn noch vor wenigen Monaten hätten sich alle vor einem Krieg auf der koreanischen Halbinsel fürchten müssen.
Die Kehrtwende von Präsident Trump sieht Cha nicht als Widerspruch. Er habe von Anfang an von Härte, aber auch von Verhandlungsbereitschaft gesprochen: «Trump sieht sich als Verhandler, er scheut Herausforderungen nicht. Man hat ihm gesagt, Nordkorea sei die grösste sicherheitspolitische Herausforderung in seiner ersten Amtszeit, und die will er offenbar angehen.»
Wie weiter nach einem Scheitern?
Allerdings hält Cha das Gipfeltreffen für sehr riskant, weil es nicht die üblichen Vorverhandlungen auf technischer Ebene gegeben habe. «Wir gehen das diesmal ganz anders an, es existiert kein Drehbuch, und deshalb ist der Ausgang unberechenbar. Es könnte einen wundervollen Erfolg geben oder ein komplettes Scheitern», sagt Cha.
Scheitert das Treffen, gibt es keine Diplomatie mehr
Im Fall eines Erfolgs könnten sich die beiden über generelle Eckpunkte einigen, ohne aber in Details zu gehen. Danach würden die Beschlüsse in Verhandlungen implementiert. Cha warnt eindringlich vor einem Scheitern des Treffens: «Danach gäbe es keine Diplomatie mehr». Denn dann habe man die Möglichkeiten ausgeschöpft, da das höchste Treffen bereits stattgefunden hat.
«Nach dem Gipfel kommt die Klippe», hat Victor Cha auch schon gewarnt. Der Druck eines Erfolgs sei zwar für beide Präsidenten hoch, aber ebenso zahlreich seien die offenen Fragen. Zum Beispiel ob Kim Jong-un bereit sei, die Nukleararsenale abzubauen oder was US-Sicherheitsgarantien für Nordkorea beinhalten würden.
Sturz ins Ungewisse
«Was wollen wir, die USA, geben, um unser Ziel, die Denuklearisierung Nordkoreas, zu erreichen?», fragt Cha. Davon hänge vieles ab: ein Friedensschluss, das Einstellen von Sanktionen, was geschieht mit den US-Truppen in Südkorea. Chas kurze Antwort ist: «Wir wissen es nicht.»
Der 57-jährige Strategieexperte und ehemalige Top-Diplomat sagt zum Schluss: Das Gipfeltreffen von Präsident Trump und dem Obersten Führer Kim Jong-un am 12. Juni sei eine Dunkelkammer, und zwar für alle: «Wenn die beiden das Treffen beginnen und hinter sich die Türe schliessen, werden wir alle, Journalisten, Experten, Politiker, mit höchster Spannung warten, denn niemand kann voraussagen, wie es ausgehen wird.»