Das Gefangenenlager in Guantanamo Bay auf Kuba ist für viele ein Schandfleck der USA. Seit langem konnte zum ersten Mal wieder ein Häftling das Lager verlassen. Es handelt sich um einen Pakistaner, der nach Belize überführt wurde und dort freigelassen wird. Doch 34 Häftlinge sind noch in Guantanamo, einige davon seit rund 20 Jahren. Warum sie keine Chance auf ein rechtsstaatliches Verfahren haben, erläutert Politikwissenschaftler Thomas Jäger.
SRF News: Warum ist die Situation der Gefangenen in Guantanamo trotz dieser neuen Freilassung so festgefahren?
Thomas Jäger: Das Lager ist deshalb so schwierig aufzulösen, weil man nicht weiss, was man mit den Gefangenen tun soll. Barack Obama hatte zu Beginn seiner Amtszeit gesagt, er wolle innerhalb eines Jahres dieses Lager auflösen. Das ist an vielen Hürden gescheitert. Donald Trump hat gar keinen Versuch unternommen. Und Joe Biden hat als ehemaliger Vizepräsident mitbekommen, wie schwierig es der Obama-Administration fiel, dieses Ziel zu erreichen. Obama wollte damit auch das Image der USA in der arabischen Welt verbessern.
Dieses Lager ist eigentlich ein Rechtsbruch. Warum tut Joe Biden, der oft den Rechtsstaat betont, nicht mehr?
Genau da liegt der Ursprungsfehler dieser ganzen Konstruktion. Das hatte man übrigens schon in der Administration von George W. Bush erkannt.
Dort sind die sogenannten ungesetzlichen Kombattanten; das heisst, es sind nicht richtige Kriegsgefangene, für die Kriegsrecht gilt.
Es sind ja die sogenannten ungesetzlichen Kombattanten, die man dort gefangen genommen hat. Das heisst, es sind nicht richtige Kriegsgefangene, für die Kriegsrecht gilt. Sie sind eine Rechtsfigur ausserhalb des Rechtssystems. Wie kriegt man diese Personen in ein Rechtssystem hinein? Die Antwort ist: gar nicht. Die amerikanischen Gerichte haben sich damit befasst. Es könne dort kein Militärgericht eingesetzt werden, das sei ungesetzlich. Die US-Regierung hat zwar noch argumentiert, das Lager sei nicht auf amerikanischem Boden, insofern würden diese Gesetze nicht gelten, aber auch das liessen die Gerichte nicht durchgehen.
Es gibt aber kein Gesetz, das Joe Biden verbieten würde, diese Gefangenen in die USA zu überführen und dort dem Rechtsstaat anzuvertrauen?
Das könnte er. Aber was würde dann geschehen? Sie würden möglicherweise freigelassen werden, weil es für die meisten, die dort sind, keine Anklage gibt. Einige von ihnen wurden zwar angeklagt, aber es wäre zu prüfen, ob diese Anklagen vor einem amerikanischen Gericht standhielten.
Man braucht ein paar 100 Millionen Dollar, um ein entsprechendes Gefängnis zu bauen und die Überführung zu bewerkstelligen.
Hinzu kommt, dass ein Präsident die Überführung nicht aus eigener Kraft anordnen kann. Biden müsste beim Kongress um Geld fragen. Denn die Gefangenen sind richtig teuer. Man braucht ein paar 100 Millionen Dollar, um ein entsprechendes Gefängnis zu bauen und die Überführung zu bewerkstelligen. Biden wird das Geld nicht erhalten. Hier ist eine Zwickmühle entstanden, in die sich die Exekutive unter George W. Bush selbst hineinmanövriert hat, die alle seine Nachfolger nicht auflösen konnten.
Heisst das, dass das Lager weiterbesteht, bis der letzte Gefangene dort stirbt?
Das Problem der Auflösung wäre ohne Gefangene erledigt. Wenn ein Präsident dieses Thema noch einmal anpackt, wie es zuletzt Obama getan hat, dann nur, wenn er ganz genau weiss, wie es gelöst wird. Und das kann einem zum derzeitigen Zeitpunkt niemand sagen.
Das Gespräch führte Sandro Della Torre.