Vielleicht werden wir irgendwann erfahren, weshalb Joe Biden so lange gezögert hat. Schliesslich hatte es bereits zu Weihnachten das erste Mal geheissen, der amtierende Präsident würde seine erneute Kandidatur bald ankündigen. Genauso wie im Januar, im Februar und im März.
Jetzt also ist es so weit. Exakt vier Jahre nach seiner ersten Ankündigung hat Joe Biden mit einem Video, das mit Bildern vom 6. Januar 2021 und dem Sturm auf das Kapitol und mit dem Wort «Freiheit» beginnt, seine Kampagne zur Wiederwahl lanciert. Das Video stellt ins Zentrum, womit Biden die Amerikanerinnen und Amerikaner ein zweites Mal für sich gewinnen will: Der Kampf um die Seele Amerikas sei noch nicht vorbei, so Biden. «Let’s finish the job.» Lasst uns die Arbeit zu Ende führen.
Das Alter
Ich muss zugeben, ich war skeptisch. Biden wird zwei Wochen nach den Wahlen im November 2024 seinen 82. Geburtstag feiern. Seine Gegner werden sich bis dahin genüsslich auf jeden leichten Versprecher, auf jedes unverständliche Nuscheln, auf jeden etwas steifen Schritt stürzen. Und selbst wenn der von seinem Leibarzt als topfit ausgelobte Biden den brutalen Wahlkampf, der schon weit jüngere Kandidaten gebrochen hat, unbeschadet übersteht, wird ihm sein Alter weiter vorgehalten werden. Am Ende einer zweiten Amtszeit wäre der Oberkommandierende der immer noch mächtigsten Nation der Welt 86 Jahre alt.
Man merkt Joe Biden schon jetzt die Strapazen, die das Amt des US-Präsidenten mit sich bringen, an. Auch deshalb sind selbst innerhalb seiner eigenen Partei nicht alle nur glücklich darüber, dass der Präsident noch einmal antreten will. Der ehemalige demokratische Kongressabgeordnete aus Ohio, Tim Ryan, sprach erst letzten Freitag aus, was viele nur leise denken: «Ich liebe den Präsidenten. Aber ich glaube, das Land ist bereit für einen Wechsel bei beiden Parteien.»
Wenig Alternativen
Den Strategen seiner Partei geben dabei wohl auch Umfragen zu denken, wie die erst gerade zu Wochenbeginn veröffentlichte Erhebung des Institute of Politics an der Harvard Kennedy School. Gemäss dieser Umfrage finden nur gerade 36 Prozent der jungen Amerikanerinnen und Amerikaner im Alter von 18 bis 29 Jahren Bidens Politik gut. Vor allem sein Umgang mit der Inflation sowie der Waffengewalt stösst in dieser Altersgruppe auf Kritik.
Nur, viele neue Köpfe drängen sich aufseiten der Demokraten nicht auf. Vizepräsidentin Kamala Harris schaffte es in zwei Jahren im Weissen Haus nicht, auch nur mit einem Thema positiv in Verbindung gebracht zu werden. Transportminister Pete Buttigieg hat in den letzten Monaten bei mehreren Krisen keine gute Figur abgegeben. Und die potenziellen Kandidatinnen und Kandidaten unter den Gouverneuren blieben bundespolitisch bisher zumeist blass.
Der Trump-Besieger
So hat die demokratische Senatorin Tina Smith aus Minnesota vermutlich recht, wenn sie sagt: «Ich denke, viele wollen jemanden Neues. Aber nicht jetzt.» Denn da ist auch Bidens Leistungsausweis. Er hat – und das wurde bei den Zwischenwahlen im Herbst 2022 honoriert – politisch trotz schwieriger Mehrheitsverhältnisse im Kongress bemerkenswert viel durchsetzen können. Und vor allem hat er eines schon einmal geschafft: bei den Wahlen Donald Trump geschlagen.