Heute könnte Liz Cheney, die Vize-Fraktionschefin der Republikaner im Repräsentantenhaus, von ihren Parteikolleginnen und -kollegen aus ihrem Amt abgewählt werden. Grund: Ihre Kritik an Ex-Präsident Donald Trump. USA-Kennerin und Professorin Claudia Brühwiler erklärt die Hintergründe.
SRF News: Wie wahrscheinlich ist es, dass Liz Cheney von ihren Parteikollegen aus der Fraktionsführung entfernt wird?
Claudia Brühwiler: Das ist äusserst wahrscheinlich. Der republikanische Minderheitsführer im Repräsentantenhaus, Kevin McCarthy, hat in einem offenen Brief an seine Kolleginnen klargemacht, dass er Cheney nicht mehr stützt. Noch vor drei Monaten hatte Cheney eine Vertrauensabstimmung überstanden – damals stellte sich McCarthy noch klar hinter sie.
Die Parteispitze will Cheney mit der Absetzung für ihr Abstimmungsverhalten beim zweiten Impeachment gegen Ex-Präsident Trump bestrafen – ist das alles?
Es spielen weitere Faktoren hinein. So geht es um die unmittelbare Zukunft der Republikaner mit Sicht auf die Zwischenwahlen 2022. Die Partei möchte vorwärts schauen und sich nicht mehr ständig mit alten Hüten beschäftigen, welche die Partei entzweien.
Trump fordert Cheneys Absetzung seit längerem, jetzt könnte es tatsächlich so weit kommen. Hat er die republikanische Partei immer noch derart im Griff?
Es ist wohl allzu einfach, alles auf Trump abzuschieben – wie das auch Cheney tut. Sicher gibt es im Repräsentantenhaus noch viele Abgeordnete, die loyal gegenüber Trump sind, weil sie ihm ihre Wahl zu verdanken haben.
Die Republikaner wollen ihre Wählerbasis nicht verlieren.
Doch es ist komplizierter: Die Republikanerinnen und Republikaner wollen ihre Wählerbasis nicht verlieren, ausserdem wollen sie sich nicht in Grabenkämpfen verlieren, welche viele Wählerstimmen kosten könnten.
Ist Cheney also eine Art Bauernopfer?
Es gibt zahlreiche republikanische Abgeordnete, die ähnlich denken wie Cheney. Auch sie verurteilen Trump als Verantwortlichen für den Sturm aufs Kapitol im Januar. Doch sie halten es für politisch unklug, weiter darauf herumzureiten.
Zahlreiche Republikaner halten es für politisch unklug, weiter auf Trump herumzureiten.
Entsprechend kritisieren sie das Vorgehen Cheneys, welche möglicherweise nicht die richtigen politischen Instinkte besitze. Ein Gegenbeispiel zu Cheney ist Mitch McConnell, der republikanische Minderheitsführer im Senat. Auch er kritisierte Trump am Ende scharf – doch wird seine Rolle nicht infrage gestellt.
Können die Republikaner mit Cheneys Absetzung das Steuer tatsächlich in Richtung der Wahlen von 2022 drehen?
Derzeit deuten die Zeichen eher in eine andere Richtung: Cheney stilisiert sich als Märtyrerin und hat das Ganze zur Moralfrage gemacht. Sie sagt, man befinde sich an einem Wendepunkt für die republikanische Partei. Ihre Gegner dagegen sagen, Cheney gehe es nur um machtpolitisches Kalkül. Entsprechend glauben sie, dass sich der Sturm bald wieder legt, das mediale Interesse sich weiterbewegt und die Absetzung Cheneys in einigen Wochen kein Thema mehr sein wird – und die ganze Affäre ihnen bei den Zwischenwahlen 2022 nicht schaden wird.
Das Gespräch führte Salvador Atasoy.