Der von US-Präsident Donald Trump angekündigte Truppenabzug aus Syrien stösst im Westen und bei den syrischen Kurden auf heftige Kritik. Roland Popp hingegen, Experte für Sicherheitspolitik und den Nahen Osten, erkennt im Handeln Trumps eine mögliche Strategie, die den USA wieder den nötigen Handlungsspielraum im Krisengebiet verschafft.
SRF News: Der Abzug der US-Truppen scheint die anderen Kriegsparteien in Syrien zu freuen. Warum machen die Amerikaner das und warum gerade jetzt?
Roland Popp: US-Präsident Donald Trump agiert sehr selbständig und handelt gegen den Rat der allermeisten seiner Berater. Aber vielleicht hat er in diesem Fall auch für einmal recht. Denn die amerikanische Syrien-Politik war extrem verheddert und diente kaum mehr den strategischen Interessen des eigenen Landes. Darum ist es vielleicht sogar ein vernünftiger Schritt. Denn die Präsenz der USA in Syrien hat fast zu einem Krieg mit Iran geführt, zum Krieg mit Syrien und zum Krieg mit den Russen. Dadurch, dass die Amerikaner Syrien verlassen, gewinnen sie auch wieder einiges am Handlungsspielraum, den sie vorher nicht mehr hatten.
Es ist vielleicht sogar ein vernünftiger Schritt, denn die Präsenz der USA in Syrien hat fast zu einem Krieg mit Iran und den Russen geführt.
Die syrischen Kurden fühlen sich betrogen durch den Abzug der USA. Ist das nachvollziehbar?
Aus kurdischer Perspektive sicherlich, denn man hatte auf die Schutzmacht USA vertraut und hatte wohl auch sehr viele Versprechungen bekommen, dass man weiterhin unterstützt werde. Mit dem Rückzug ist man nun der türkischen Gefahr und womöglich auch der Regierung von Präsident Assad ausgeliefert. Aus kurdischer Sicht gebietet sich deshalb nun eine Annäherung an Assad selber, um irgendeine Art von Vereinbarung zu treffen, die etwas von dieser kurdischen Autonomie bewahrt und die Kurden vor den Türken schützt.
Was ändert der Truppenabzug für den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad?
Für Assad ist das ein zweischneidiges Schwert. Zum einen steigen die Chancen, dass er einmal die Kontrolle über sein gesamtes Staatsgebiet zurückerlangt. Zum anderen droht jetzt eine weitere militärische Intervention der Türkei und damit der langfristige Verlust weiterer Territorien in Syrien. Damit steigt die Notwendigkeit für Assad, mit den Kurden ins Gespräch zu kommen und einen Kompromiss zu finden, um das Eingreifen der Türkei zu vereiteln.
Der IS als ‹Staat› an sich ist so gut wie besiegt.
Trump begründet den Truppenabzug damit, dass die Terrormiliz «Islamischer Staat» (IS) besiegt sei, was auch Russlands Präsident Putin bestätigt. Kann man das wirklich so sagen?
Der IS als «Staat» an sich ist so gut wie besiegt. Er kontrolliert noch einige wenige Dörfer entlang des Euphrats. Aber die Idee des IS existiert weiter und die Gefahr besteht natürlich, dass er sich neu gruppieren könnte und aus dem Untergrund heraus kämpft. US-Bodentruppen würden aber für diese Bedrohung nicht viel Sinn ergeben.
Spielt der Abzug der USA den Islamisten in die Hände?
Ich glaube nicht, im Gegenteil: Die Präsenz der USA und das militärische Engagement in Syrien war immer etwas, das den Islamisten genützt hat, weil sie so zeigen konnten gegenüber ihren Anhängern: Wir kämpfen gegen den grossen Satan. Und der ist jetzt weg. Insofern verliert ihr Kampf auch einiges an Zuspruch.
Der Krieg in Syrien gilt ja auch als ein Stellvertreter-Krieg: Was ändert sich jetzt durch den Abzug der US-Truppen an diesem internationalen Machtgefüge?
Da ändert sich durchaus einiges. Denn durch den Abzug der USA wird einer der wichtigsten Streitpunkte im Verhältnis zwischen der USA und der Türkei beseitigt, und es gibt vielleicht eine Wiederannäherung der beiden Staaten. Die Tendenz, dass sich die Türkei immer mehr Russland angenähert hat, könnte dann zurückgefahren werden.
Das Gespräch führte Roger Brändlin.