«Wenn der Präsident es tut, ist es nicht illegal», sagte Ex-Präsident Richard Nixon einst in einem Interview. Daran fühlte ich mich erinnert, als das Oberste Gericht in den USA erklärte, ein Ex-Präsident geniesse dafür, was er im Amt getan habe, Immunität – zumindest teilweise. Die Immunität gelte für seine offiziellen Amtshandlungen. Für alle Kernfunktionen der Präsidenten gelte eine absolute Immunität, für andere Amtshandlungen zumindest eine «mutmassliche Immunität».
Damit gab das Gericht teilweise der Trump-Seite recht, die argumentiert hatte, ein Präsident müsse ohne jede Furcht vor einer späteren Anklage regieren können. Ankläger dürften es künftig schwer haben, ehemalige Präsidenten vor Gericht zu kriegen.
Die drei liberalen Richterinnen am Verfassungsgericht stemmten sich vergeblich gegen diese Sicht. Die sechs konservativen Richterinnen und Richter (wovon Donald Trump als Präsident drei eingesetzt hatte) sprachen sich für dieses Prinzip der Teil-Immunität an.
Verzögerung trägt Früchte
Zum ersten Mal klärte der «Supreme Court» die Frage, inwiefern ein Präsident Immunität geniesst. Das Urteil ist historisch. Es bedeutet einen eindeutigen Ausbau der präsidialen Macht. Und das Urteil ist ohne Zweifel ein Sieg für Trump. Er ist nun teilweise vor Anklagen geschützt. Und die Strategie seiner Anwälte, alle vier Strafverfahren gegen ihn zu verzögern, trägt Früchte.
Trump ist angeklagt, weil er nach der Wahlniederlage von 2020 mit vielen Mitteln versuchte, an der Macht zu bleiben. Das Verfahren gegen Trump wird durch das Urteil des Obersten Gerichtshofes zwar nicht gestoppt, aber, und das ist entscheidend, es wird wohl verzögert.
Waren die Versuche, die Trump nach der Wahl von 2020 unternahm, Teil seiner offiziellen Amtshandlungen oder waren das nicht-offizielle, private Handlungen? Wofür kann Trump angeklagt werden und wofür nicht? Das soll nun das zuständige Bundesgericht auf einer tieferen Ebene klären. Das kostet Zeit. Und schon in etwa vier Monaten wählen die Amerikanerinnen und Amerikaner einen Präsidenten.
Ein Prozess gegen Trump hätte den Wahlkampf dominiert. Es ist spätestens jetzt sehr unwahrscheinlich, dass der Prozess, der ursprünglich im März hätte beginnen sollen, noch vor dem Wahltermin beginnt, geschweige denn zu Ende geht.
Mühlen des US-Rechtsstaats mahlen zu langsam
Sollte Trump wieder Präsident werden, was gut möglich ist, würde er wohl das Justizministerium anweisen, das Verfahren gegen ihn abzuwürgen. Dass die beiden weiteren Anklagen, etwa jene rund um die Dokumente, die Trump aus dem Weissen Haus mitgehen liess, vor der Wahl zu einem Prozess führen, gilt schon länger als höchst unwahrscheinlich. Trumps Verurteilung in New York, im vergleichsweise unwichtigen Fall um eine Schweigegeldzahlung, bleibt also wohl die einzige vor dem Urnengang am 5. November.
Trump wird also womöglich nicht zur Verantwortung gezogen für seinen Angriff auf eine fast schon heilige Tradition der US-Demokratie: auf die friedliche Machtübergabe vom einen Präsidenten zum nächsten. Seine Weigerung, ein sauberes Wahlresultat nicht zu akzeptieren, gipfelte im gewaltsamen Sturm auf das Kapitol, wo der Wahlsieg von Joe Biden am 6. Januar 2021 in letzter Minute umgestossen werden sollte.
Während Hunderte seiner Anhänger sich vor Gericht verantworten mussten, weil sie ins Kapitol eindrangen, um Trump an der Macht zu halten, werden wir vielleicht nie erfahren, ob ein Geschworenengremium Trump schuldig gesprochen hätte. Die Mühlen des US-Rechtsstaats mahlen schlicht zu langsam.
Man darf vor diesem Hintergrund den Grundsatz, in den USA sei jeder und jede vor dem Gesetz gleich, ernsthaft anzweifeln.