Verurteilter Straftäter: Diesen Titel muss Donald Trump jedenfalls vorläufig tragen. Die Jury hat einstimmig entschieden, dass er die Buchhaltung habe fälschen lassen, um damit andere Vergehen zu vertuschen. Trump wird das Urteil anfechten, bis zur Wahl muss er diesen Titel tragen.
Juristisch war der Prozess sperrig, die Anklage baute auf eine unerprobte Begründung. Der Schuldspruch ist eine vorläufige Genugtuung für die New Yorker Staatsanwaltschaft. Allerdings muss das Urteil noch in der Berufung bestätigt werden. Es ist möglich, dass das Berufungsgericht das Urteil aufhebt. Der Richter wird das Strafmass festlegen. Es ist unwahrscheinlich, dass er den nicht vorbestraften Ex-Präsidenten ins Gefängnis schickt.
Ansehen von Rechtsstaat beschädigt
Trump selber stellt sich nun als Märtyrer und Opfer einer politisierten Justiz dar. Ungeachtet des Urteils ist der Schaden für das Ansehen von Justiz und Rechtsstaat enorm. Donald Trump hat das Prinzip, dass das Recht für alle gilt und niemand über dem Gesetz steht, auf perfide Weise verdreht. Immer wieder sagt er seinen Anhängern: Wenn sie mich verfolgen, kriegen sie auch euch, ich stehe nur im Weg. Und viele glauben ihm.
Das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Justiz, dass es Konsequenzen für Gesetzesbrecher gibt, und zwar nur für jene, ist für einen grossen Teil der Bevölkerung beschädigt. In der virtuos verdrehten Trump-Welt ist egal, ob etwas Sinn ergibt, geschweige denn, ob es wahr ist. Wird das die Präsidentschaftswahl beeinflussen? In verschiedenen Umfragen sagt eine unterschiedliche Prozentzahl der Wählerschaft, sie würden nicht für Trump stimmen, wenn er verurteilt wird.
Wenige Stimmen machen Unterschied
Die Details im Prozess haben zudem erneut in die Öffentlichkeit gespült, weshalb viele politisch gemässigte Frauen von der Persönlichkeit Trumps abgestossen sind. Unter moderaten Republikanern, die in den Vorwahlen Nikki Haley gewählt haben, sind viele unentschlossen, ob sie aus ihrer Sicht «die Pest oder Cholera» wählen sollen. Da die Wahl voraussichtlich knapp wird, können auch wenige Wählerinnen und Wähler den Unterschied machen, die sich gegen Trump entscheiden.
Es gibt allerdings auch Gründe, warum dieses Urteil für die wichtigen Wechselwählenden in der Mitte nicht entscheidend sein wird. Von der Gewichtigkeit her war die Anklage relativ harmlos. Für viele Amerikaner ging es im Prinzip um «Lügen über Sex». Noch sind es fünf Monate bis zum Wahltag. Vielleicht haben viele bis dann diesen Prozess vergessen.
Wichtiger könnte anderes sein: etwa, was in Gaza geschieht, ob die Teuerung sinkt, ob die Einwanderung ansteigt oder ob einer der beiden Kandidaten sich einen verheerenden Lapsus leistet, der die Zweifel an ihrer Fähigkeit für das Präsidentenamt explodieren lässt.
Urteil zu vergleichsweise kleinem Vergehen
Das eigentliche Drama ist, dass der New Yorker Prozess als bisher einziger die Verzögerungstaktik Trumps überwand und vor der Wahl zu Ende kam. Damit bleibt an Trump das Bild eines relativ kleinen Vergehens rund um eine Sex-Lüge haften – und nicht das eines Machthabers, der mit mutmasslich illegalen Mitteln versuchte, an der Macht zu bleiben.
Wahrscheinlich werden die wichtigen Vorwürfe gegen Trump rund um den Kapitolsturm und den Versuch, die rechtmässige Wahl Bidens zu verhindern, die Zurückbehaltung von Geheimdokumenten, nicht mehr vor dem Wahltag strafrechtlich beurteilt werden. Und Trump muss sich diesen Anklagen von riesigem öffentlichen Interesse möglicherweise gar nie mehr stellen.