«We don't go back.» Aus Tausenden von Kehlen schallt der Ruf durch das volle Stadion. Kamala Harris steht da, und man sieht ihr an: Auch sie hat Gänsehaut in diesem Moment. Es ist ihr erster Auftritt zusammen mit ihrem neuen «Running Mate» Tim Walz, und die Demokraten machen klar: es gibt kein Zurück mehr.
Nur damit wir es nicht vergessen: Begonnen hatte dieser Sommer mit einem 81-jährigen Kandidaten, der seinem Land (und der Welt) vormachen wollte, dass er immer noch fit genug ist für das mächtigste Amt der Welt. Doch dann brachte Joe Biden in seinem Fernsehduell am 27. Juni, das er selbst so gewollt hatte, kaum einen Satz zu Ende.
Analysten und Strateginnen sahen den entscheidenden Wendepunkt in diesem Wahlkampf. Und Joe Biden? Weigerte sich, auch nur über einen Rückzug nachzudenken.
Die vielen Wendungen im Wahlkampfsommer
Dann kam der Juli, und der amerikanische Polit-Sommer wurde ein zweites Mal auf den Kopf gestellt: Ein Attentäter versuchte Donald Trump zu ermorden. Die Bilder des blutenden ex-Präsidenten und wieder-Präsidentschaftskandidaten der Republikaner gingen um die Welt, und Analystinnen und Strategen sahen den entscheidenden Wendepunkt. Der Nominierungsparteitag der Republikaner wurde zu einer Krönungsmesse mit religiösem Anstrich. Trump schien unantastbar – und unbesiegbar.
Dann gab Biden doch auf. Es war der entscheidende Wendepunkt in diesem Wahlkampf. Danach war nichts mehr, wie es vorher war. Donald Trump, eben noch siegesgewiss, findet sich gegen Kamala Harris in der Defensive, und er findet bislang nicht das richtige Mittel, um wieder Oberwasser zu erhalten.
Angst gegen Hoffnung
Kamala Harris greift Donald Trump dort an, wo er bislang stark war: die Gefühle der Menschen anzusprechen. Doch wo Trump vor allem Angst als zentralen Antrieb für menschliches Handeln sieht, und deshalb vornehmlich Ängste schürt, setzt Harris auf ein der US-Politik zuletzt völlig abhanden gekommenes Gefühl: Hoffnung. Und Freude.
Da spielt es kaum eine Rolle, dass Kamala Harris in den dreieinhalb Wochen, in denen sie nun die Anführerin der Demokraten ist, noch kaum über konkrete Politik gesprochen hat. In ihren Wahlkampfreden spricht Harris zwar gerne über den «Kampf für die Zukunft». Doch wie diese Zukunft genau aussehen soll, sagte sie bislang nicht. Harris bewies bislang keinen Drang, ein kohärentes politisches Programm vorzulegen.
Ihren Anhängerinnen und Anhängern ist das zurzeit weitgehend egal. Sie strömten in Scharen zu den Wahlveranstaltungen, die Kamala Harris zusammen mit ihrem «Running Mate» Tim Walz zuletzt abhielt.
Immer noch mehr Menschen kamen in die Stadien. Immer noch mehr wuchs bei den Demokraten die Hoffnung, dass Kamala Harris tatsächlich den entscheidenden Wendepunkt dieses Wahlkampfes verkörpert. Eine Grossveranstaltung nach der anderen hielten Harris und Walz letzte Woche zusammen ab, von Pennsylvania über Wisconsin und Michigan bis nach Arizona und Nevada.
«Ready to go!»
In die Harris-Stadien strömen auffallend viele Frauen. Und Junge. So wie in Philadelphia, als Harris das erste Mal zusammen mit ihrem neu erkorenen Vizepräsidentschaftskandidaten Walz auftritt.
Elisabeth Meyer und ihre Töchter tragen bereits T-Shirts mit der Aufschrift «Harris – Walz»: «Ich hoffe einfach, dass Tim Walz dem Ticket noch mehr Kraft verleiht. Und dass die Leute, wenn sie danach rausgehen, voller Begeisterung sind, ready to go! Dass sie bereit sind, an Türen zu klopfen und Leute anzurufen.» Meyer ist selbst ganz ausser Atem vor Begeisterung. Sie ist eine der Glücklichen, die es ins Stadion schafft. Denn viele finden keinen Platz mehr.
Obama-eske Begeisterung in der Sportbar
So wie Kaley Ferguson und Sarah Wheeler. Die beiden jungen Frauen sitzen in einer Sportbar nebenan, in welcher Harris’ Anhängerinnen den Wirt dazu gebracht haben, die laufenden Basket- und Baseballspiele aus- und CNN einzuschalten.
Jetzt schaut die ganze Bar die Rede von Harris wie ein Football-Spiel und jubelt bei jedem zweiten Satz, als sei ihr gerade ein Touchdown gelungen. «Das ist ein neuer Weg politischer Kommunikation. So etwas haben wir noch nicht gesehen. Die machen einen wirklich guten Job, weil sie mehrere Generationen zusammenbringen und sie alle beteiligen.»
Kaley Ferguson ist begeistert, so wie neben ihr ihre Freundin Sarah Wheeler: «Die beiden sind ein grossartiges Paar. Ich bin einfach glücklich, Teil dieses historischen Ereignisses gewesen zu sein.» Es fühlt sich Obama-esk an, diese Begeisterung.
Kamala oder Camilla?
Doch dann treffen wir ein paar Tage später auch Nadia, eine Verkäuferin aus Arizona. Sie hat nicht nur nicht gehört, dass Kamala Harris nach Phoenix kommen würde. Sie fragt auch: «Kamala … Camilla … sie ist aus Grossbritannien, ja?» Es dauert eine Weile, bis wir begreifen, dass sie die Königin des Vereinigten Königreichs meint.
Nein, Kamala Harris, die Vizepräsidentin der USA komme nach Phoenix, um an einer Wahlkampfveranstaltung für sich zu werben, erklären wir. «Und was ist mit Biden?» Die Frau hat von jenem entscheidenden Wendepunkt in diesem Wahlkampf noch nicht gehört. Und die Demokraten haben ganz offensichtlich noch viel Arbeit vor sich, wenn sie die momentane Euphorie in Erfolg umwandeln wollen.