Die TV-Duelle zwischen den Präsidentschaftsanwärtern gehören in den USA zum Wahljahr wie Martin Luther King zu Atlanta, Georgia. Und genau dort findet in der kommenden Nacht die erste Debatte zwischen Präsident Joe Biden und Ex-Präsident Donald Trump in diesem Jahr statt.
Öffentlich debattiert wird zwischen US-Politikern bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Angefangen hat alles mit Abraham Lincoln und seinem Gegner Stephen Douglas. In sieben Duellen redeten die beiden insgesamt über 21 Stunden lang.
Doch erst mit der Verbreitung der TV-Geräte wurde aus dem Politduell ein institutionalisierter, kollektiver Lagerfeuermoment mit Fallstricken und Fettnäpfchen für die Kandidaten. Immer wieder bestimmten Fehltritte und gute Sprüche so auch den Tenor im Wahlkampf mit. Einige der denkwürdigsten Duelle der vergangenen Jahrzehnte:
1960 – ein schweissgebadeter Nixon
In der ersten im Fernsehen übertragenen Wahlkampfdebatte standen sich der demokratische Kandidat John F. Kennedy und der republikanische Vizepräsident Richard Nixon gegenüber. Rund um die Debatte im September rankten sich viele Gerüchte. Denn der Umfragefavorit Nixon überraschte mit einem merkwürdigen Auftritt: Er schwitze stark, humpelte leicht und machte einen schwachen Eindruck.
Tatsächlich wurde Nixon erst kurz zuvor aus einem Spital entlassen. Während des Aufenthaltes schien er stark abgenommen zu haben. Er wirkte eher blass und kränklich, was unter anderem auf eine leichte Grippe zurückzuführen sei, hiess es damals. So schrieb auch die New York Times vom «Schweiss, der ihm am Kinn herunterlief». Zu allem Übel hatte sich Nixon laut Berichten sein bereits verletztes Knie beim Eintreffen zur Debatte an einer Autotür angeschlagen.
Die 70 Millionen Zuschauenden – der damals rund 180 Millionen US-Bürgerinnen und -Bürger – konzentrierten sich schliesslich auf das, was sie sahen, nicht auf das, was sie hörten. Anschliessende Befragungen zeigten, dass diejenigen, die das TV-Spektakel verfolgt hatten, eindeutig Kennedy vorne gesehen haben. Er gewann die Wahl.
1976 – der uninformierte Ford?
Insbesondere die Wortwahl kann sich in den TV-Debatten als ein regelrechtes Minenfeld entpuppen. In einem Duell gegen den Demokraten Jimmy Carter sorgte so der amtierende republikanische Präsidenten Gerald Ford, der nach der Watergate-Affäre ins Oval Office folgte, für Verwirrung. In einer Bemerkung sagte er: «Es gibt keine sowjetische Vorherrschaft in Osteuropa, und es wird sie auch unter einer Ford-Regierung nicht geben.»
Ford wollte eigentlich nur sagen, dass die Menschen im damaligen Ostblock sich nicht von den Sowjets kontrollieren lassen würden. Sein Versprecher liess Zuschauende glauben, dass der Präsident nicht weiss, was auf der Welt passiert. Und das mitten im Kalten Krieg. Ford verlor die Wahl.
1984 – Reagan gewinnt mit Humor
Das Alter der Präsidentschaftsanwärter sorgt nicht nur heute, sondern auch schon in Vergangenheit für Diskussionen. Eine gute Art, damit umzugehen: mit Humor. Der Republikaner Ronald Reagan zeigte sich Mitte der 80er-Jahre schlagfertig, als er im Duell gegen den 17 Jahre jüngeren Gegenkandidaten und Demokraten Walter Mondale sagte: «Ich werde die Jugend und Unerfahrenheit meines Gegners nicht ausschlachten.»
Mondale sagte später, dass es dieser Moment war, in dem ihm klar wurde, dass er verloren hat. Reagan wurde wiedergewählt.
1988 – auch Vizekandidaten geraten aneinander
Als vier Jahre später der Republikaner George H. W. Bush (Bush Senior) und der Demokrat Michael Dukakis um die Gunst der Bevölkerung buhlten, standen nicht nur die Präsidentschaftsanwärter im Zentrum der Aufmerksamkeit. Es war auch eine lebendige Vizepräsidentschaftsdebatte, die zu Reden gab.
Sie sind kein Jack Kennedy!
Als Dan Quayle, Bushs Vizekandidat, sich als republikanische Version des jungen John F. Kennedy bezeichnete, reagierte der Demokrat Lloyd Bentsen in scharfem Ton: «Senator, ich habe mit Jack Kennedy gedient. Ich kannte Jack Kennedy. Jack Kennedy war ein Freund von mir. Senator, Sie sind kein Jack Kennedy!»
1992 – der wortlose Fehltritt von Bush Senior
Drei Kandidaten – der Republikaner George H.W. Bush (Bush Senior), der Demokrat Bill Clinton und der unabhängige Ross Perot – teilten sich im Oktober 1992 die TV-Bühnen. Einer davon stach heraus.
Bush irritierte das Publikum, weil er während der Debatte auf seine Uhr geschaut hatte und so uninteressiert und abgehoben herüberkam. Der Blick schien ihn zudem auch ein wenig abgelenkt zu haben, sodass er mehr schlecht als recht auf eine Frage aus dem Publikum in Bezug auf die schleppende Wirtschaft antwortete.
2000 – das Seufzen von Al Gore
In seiner ersten Debatte mit dem Republikaner George W. Bush (Bush Junior) erntete der demokratische Vizepräsident Al Gore im Jahr 2020 besonders viel Kritik. Der Grund: Er seufzte laut, während Bush sprach.
Trotz sattelfesten Reden und Antworten wirkte Al Gore dadurch im Vergleich zu Bush unhöflich und genervt. Bush gewann die Wahl in einem knappen, spannenden Rennen.
2008 – McCain zeigt Zunge
Im Wahlkampf 2008, in dem sich der Republikaner John McCain und sein demokratischer Konkurrent Barack Obama um den Sitz im Weissen Haus duellierten, stand vieles im Zeichen der Wirtschaftskrise. Die Kandidaten und Präsidentschaftsanwärter standen unter grossem Druck.
Ob McCains Reaktion am Ende der TV-Debatte an der Hofstra University in New York einige Tage vor der Wahl mit Frust oder Ekel in Verbindung stand, bleibt offen. Aber von einer gewissen Art der Erleichterung dürfte wohl die Rede sein. Einige Wochen später verlor McCain die Wahl deutlich – bei 365 zu 173 Stimmen des Electoral College.
2016 – Trump beleidigt Clinton und umgekehrt
Ganz wichtig bei den TV-Debatten: cool bleiben, auch bei direkten Angriffen. Das galt vor acht Jahren für das Duell der Demokratin Hillary Clinton und des Republikaners Donald Trump. Die erste Debatte zwischen dem Geschäftsmann und der ehemaligen Aussenministerin wurde von 84 Millionen Personen am Fernsehen verfolgt – ein Rekord.
Sie hat nicht das richtige Aussehen.
Ein Austausch von Beleidigungen dominierte teilweise die Debatten: Clinton attackierte Trump wegen sexuell aggressiver Äusserungen über Frauen, die kurz zuvor in einem veröffentlichten Video publik wurden. Auch Trump griff persönlich an: «Sie hat nicht das Aussehen. Sie hat nicht das Durchhaltevermögen. Ihr sollte es nicht erlaubt sein, für die Präsidentschaft zu kandidieren.» Clinton sei eine «böse Frau». Trump hatte sich in einer Debatte sogar zeitweise hinter seiner Konkurrentin aufgebaut und ihr während ihrer Wortbeiträge lauernd im Nacken gestanden. Trumps Verhalten sorgte damals im Netz für einigen Spott.
Die Umfragen sahen danach dreimal Clinton als Siegerin im Duell. Das Beispiel zeigt allerdings: Auch wenn man die Debatte quasi gewinnt, kann man die Wahl trotzdem verlieren.
2020 – Biden gibt sich bissig
In den Meinungsumfragen weit abgeschlagen, suchte der damalige Präsident Donald Trump 2020 in seiner ersten Debatte mit Joe Biden, dem ehemaligen Vizepräsidenten, den Kampf. Aber seine Streitlust wirkte sich gegen ihn aus. Immer wieder unterbrach er Biden und den Moderator Chris Wallace, so dass die gesamte Veranstaltung ausser Kontrolle geriet. Umfragen im Anschluss an die Debatte zeigten, dass die Wechselwählenden Trumps Verhalten negativ beurteilt hatten.
Halten Sie die Klappe, Mann!
Als Trump ihn an einer Stelle unterbrach, sagte Biden: «Halten Sie die Klappe, Mann! Das ist so unpräsidentschaftlich.» Moderator Wallace sagte zu Trump: «Ich denke, dem Land wäre besser gedient, wenn wir beiden Personen erlauben würden, mit weniger Unterbrechungen zu sprechen. Ich appelliere an Sie, Sir, das zu tun.» Trump, der sich auf Biden bezog, antwortete: «Und er auch.» Wallace: «Nun, offen gesagt haben Sie mehr unterbrochen.» Trump brach später die zweite Debatte ab, nachdem sie nach seiner COVID-19-Diagnose auf ein virtuelles Format umgestellt worden war. Für das letzte Duell mit Biden schlug er dann einen zurückhaltenderen Ton an.