Der russische Präsident Wladimir Putin behauptet, die Ukraine habe den Krieg begonnen. Nun bedient sich auch US-Präsident Trump dieser Rhetorik. Slawistik-Professorin Sylvia Sasse erklärt, was da vor sich geht und was das Ziel der rhetorischen Verdrehungen ist.
SRF News: Welche Parallelen in der Rhetorik gibt es zwischen Trump und Putin?
Sylvia Sasse: Trump benutzt die gleiche Desinformationsstrategie wie Putin. Ich bezeichne diese Strategie als Verkehrung ins Gegenteil. Das geht so: Ich behaupte immer genau das Gegenteil von dem, was ich mache. Oder noch präziser gesagt: Das, was ich tue, das unterstelle ich meinen Gegnern, während ich mir ihre positiven Argumente oder ihre Begriffe aneigne und für mich selbst verwende.
Wovon sprechen Sie konkret?
Putin hat den Angriffskrieg, der inzwischen drei Jahre dauert, von vornherein immer als Verteidigungskrieg bezeichnet. Zunächst nannte er die Aktion nicht Krieg, sondern eine Spezialoperation, mit der er sich verteidigt.
Inzwischen wird auch behauptet, dass es sich um einen Widerstandskrieg gegen die westlichen Demokratien handelt.
Er hat immer behauptet, die Ukraine greife an, die Ukraine müsse entnazifiziert werden. Inzwischen wird auch behauptet, dass es sich um einen Verteidigungskrieg, um einen Widerstandskrieg gegen die westlichen Demokratien handelt. Trump übernimmt das und hat wahrscheinlich seine eigenen Interessen.
Sie sprechen von einer Verkehrung ins Gegenteil. Ist es wirklich so einfach?
Es ist erschreckend banal. Wenn Sie hören, wie Trump spricht und wie Putin spricht, dann benutzen beide diese Strategie permanent.
Wenn solche Verkehrungen dazu führen, dass die Ukraine nicht mehr unterstützt wird, dann hat das eine reale Auswirkung.
Diese Verkehrungen mögen eine Fiktion sein. Aber sie haben reale Effekte. Wenn solche Verkehrungen dazu führen, dass die Ukraine nicht mehr unterstützt wird, dann hat das eine reale Auswirkung. Deswegen ist es so wichtig, diese Verkehrungen in der Presse, auch in der Politik täglich zu markieren, damit man das versteht, was da rhetorisch abgeht.
Welches Ziel wird mit dieser Rhetorik letztlich verfolgt?
Mit dieser Rhetorik wird einerseits das Ziel des eigenen autokratischen Begehrens verfolgt, an der Macht zu sein oder an die Macht zu kommen.
Das andere Ziel ist, an der Macht zu bleiben – und die imperialen Gelüste andersherum zu erzählen. Wenn jemand, der ein anderes Land besetzt, erzählt, er sei gewissermassen gezwungen, einen Verteidigungskrieg zu führen, dann sind wir völlig auf der falschen Seite.
Es geht auch darum, sich diese Erzählungen nicht anzueignen und ihnen nicht auf den Leim zu gehen.
Was wir in der Realität gerade sehen, hat mit einer autokratischen Wende zu tun. Wir müssen uns fragen, wie wir dieser als demokratische Länder begegnen, und auch den neuen imperialen Ansprüchen der USA. Ich meine diese absurden Nachrichten, Länder kaufen zu wollen.
Da geht es um demokratischen Zusammenhalt und es geht auch darum, sich diese Erzählungen nicht anzueignen und ihnen nicht auf den Leim zu gehen.
Auch die faktisch falschen Aussagen von Donald Trump erhalten viel Aufmerksamkeit. Was für ein Umgang ist da aus Ihrer Sicht effektiv, wenn es darum geht, bei den Fakten zu bleiben?
Es ist wichtig, diese Strategie als eine Umkehrung zu benennen. Wir müssen nicht beweisen, dass es bei uns keine Zensur gibt oder dass wir keine Meinungsfreiheit haben. Ich finde es wichtig, dass die Leute verstehen, mit welchen Strategien Autokraten arbeiten, dass sie versuchen, diese Welt auf den Kopf zu stellen und uns ihre Strategie gewissermassen aufzwingen. Zudem geht es auch darum, die eigenen Interessen und die eigenen Narrative durchzusetzen und sich nicht die ganze Zeit an Trump abzuarbeiten.
Das Gespräch führte Oliver Kerrison.