Anfang Woche wurden vertrauliche Dokumente veröffentlicht, welche die systematische Verfolgung und Internierung von Uiguren im Westen Chinas belegen.
Der uigurische Aktivist Dolkun Isa lebt in Deutschland und hatte heute ein Treffen mit Schweizer Behörden. Für ihn ist klar: Die internationale Gemeinschaft hat nun keine Ausreden mehr.
SRF News: Wie erleben Sie die Reaktionen aus der internationalen Gemeinschaft?
Dolkun Isa: Manchen Leuten scheint es schwer zu fallen, diese Realität zu akzeptieren. Sie sagen: «Wir leben im 21. Jahrhundert, da ist so etwas doch nicht mehr möglich!» Manche Regierungsvertreter lassen sich deshalb nur schwer überzeugen.
Die veröffentlichten Dokumente belegen nun, dass das, was wir seit Jahren erzählen, tatsächlich stimmt.
Dabei sind sehr viele Uiguren, die im Exil leben, persönlich betroffen. Ich zum Beispiel habe letztes Jahr meine Mutter in einem der Konzentrationslager verloren. Mit meinen Verwandten habe ich seit fast 2.5 Jahren nicht mehr sprechen können. Die veröffentlichten Dokumente belegen nun, dass das, was wir seit Jahren erzählen, tatsächlich stimmt.
Was sind Ihre Forderungen an die Schweizer Regierung?
Die Schweiz ist das erste Land in Europa, das mit China ein Freihandelsabkommen abgeschlossen hat. Heute sind mehr als drei Millionen Uiguren in Konzentrationslagern. Da kann man doch nicht einfach mit China Geschäfte machen, als ob nichts wäre. Die Schweiz – jedes demokratische Land! – sollte seine Handelsbeziehungen mit China unterbrechen. Und stattdessen Druck ausüben, etwa mit Sanktionen.
Sehen Sie Chancen dafür?
Erste Schritte sehen wir bereits: Die USA haben Sanktionen gegen einen hohen Beamten in der Region und gegen sein Unternehmen verhängt. Die Schweiz und Deutschland könnten das auch tun. Gerade die europäischen Länder, mit ihrer Geschichte. Damals haben auch viele Staaten und Unternehmen mit den Nazis kooperiert. Und Millionen Menschen sind gestorben. Danach versprach man: nie wieder. Doch es geschieht.
China spricht von «Fake News». Auch sein Botschafter in der Schweiz sagt, dass es keine Lager gäbe, sondern nur «Schulen».
Früher stritt man alles ab. Als der internationale Druck zu steigen begann, vor etwa einem Jahr, sprach man auf einmal von «Schulen» oder «Trainings- oder Ausbildungslagern». In diesen Lagern sind Professoren, Intellektuelle, alte Menschen wie meine Mutter. Zu behaupten, dass die ein Ausbildungslager besuchen müssen, ist absurd. Zudem behauptet China, es gehe darum, Terrorismus zu bekämpfen.
Aber es gab ja tatsächlich von Uiguren verübte terroristische Angriffe.
Nun gut, eine gewisse Gewalt gab es. Aber stellen Sie sich vor: Wenn Sie dermassen unterdrückt werden, wenn alles kontrolliert wird, was Sie essen, trinken, wenn Ihnen alle politischen und kulturellen Rechte genommen werden.
So ist der Mensch, wenn er das Grauen nicht länger erträgt.
Wenn Ihre Kinder plötzlich verschwinden, getötet oder vergewaltigt werden. Und Sie keinen Zugang haben zur Justiz, Ihre Meinung nicht frei äussern dürfen. Dann haben Menschen das Bedürfnis nach Rache. Und greifen Polizisten an. Ich möchte solche Taten nicht rechtfertigen, Gewalt ist nie richtig. Aber so ist der Mensch, wenn er das Grauen nicht länger erträgt.
Fühlen Sie sich sicher in Ihrem Exil?
Die chinesische Regierung hat lange Arme. Und sie versucht, mich aufzuhalten, zum Beispiel meinen Zugang zur UNO zu blockieren. Ich wurde auch schon mehrfach bedroht und verhaftet, einmal sogar hier in Genf, weil China behauptet, ich sei ein Terrorist. Aber nach ein paar Stunden wurde ich wieder freigelassen. Ich kann sagen: Heute bin ich sicher. Was morgen ist, weiss ich nicht.
Das Gespräch führte Nicoletta Cimmino.