Bereits vor den Toren des Gerichts in Avignon ist fast kein Durchkommen. Dutzende Medienschaffende, Polizistinnen, Schaulustige sammeln sich auf dem Gehsteig vor dem Eingang an.
Eine Frau mit violettem Feministinnen-Shirt und kurzen grauen Haaren sitzt auf einem Geländer und streitet sich mit den Polizisten. In ihren Armen hält sie einen riesigen Korb voller Orangen. «Geben Sie uns bitte die Kiste», fordern die Polizisten sie auf. «Nein, diese Orangen sind für die Gefangenen», erwidert die Frau trotzig und zieht die Kiste zurück. Ihre Kolleginnen reden auf sie ein – «lass gut sein, dann geben wir die Orangen eben ab». Die Polizisten greifen nach der Kiste und tragen sie weg.
Die Urteilsverkündung ist der emotionale Höhepunkt des rund vier Monate andauernden Vergewaltigungsprozesses mit 51 Angeklagten, der in Frankreich und auch im Ausland viel Beachtung fand in den Medien.
Prozess unter grosser Beobachtung
Ein Prozess, der von Gisèle Pelicot gewollt in der Öffentlichkeit ausgetragen wurde und durch den sie zu einer feministischen Ikone wurde. Ein Prozess, von dem alle grausamen Einzelheiten bekannt sind; 20'000 Video- und Fotoaufnahmen hat die Polizei als Beweismittel bei Dominique Pelicot sichergestellt.
Und trotzdem bleibt es unermesslich und unvorstellbar, was Pelicot seiner Frau während zehn Jahren angetan hat, indem er sie betäubt und vergewaltigt hat und fremde Männer eingeladen hat, um dies ebenso zu tun. Immer und immer wieder. Und keiner dieser Männer hat je die Polizei informiert, obwohl einige davon berichten, dass sie die Situation «schräg» fanden.
Druck von der Strasse
Das tragische Schicksal von Gisèle Pelicot hat in Frankreich einiges in Bewegung gebracht. Es wurde viel über sexuelle Gewalt diskutiert in den letzten Monaten und über die Frage, wie man sicher sein kann, dass jemand einverstanden ist mit einer sexuellen Handlung. Nun fordern linke Parlamentarier mehr Klarheit bei den Gesetzen.
Vor allem hat der Prozess aber viel Wut entfacht. Wut gegen die patriarchale Gesellschaft, Wut gegen die angeklagten Männer im Gerichtssaal, Wut gegen das Urteil. Als ein Täter nach dem Urteilsspruch das Gericht verlässt, überzieht das Publikum ihn mit Pfiffen und Häme: «Schäme dich!» schreit es ihm nach. Nur dank einer Handvoll Polizisten schafft der Mann es durch die Menge.
Das Gericht hat geurteilt. Nicht, wie von Feministinnen gefordert, mit 20 Jahren Haft für jeden Angeklagten. Sondern mit der passenden Strafe für das Fehlverhalten jedes einzelnen. Dies sollte auf der Strasse akzeptiert werden.