Das Wichtigste in Kürze
- Das EU-Parlament will am Mittwoch darüber abstimmen, ob es ein Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn einleitet.
- Grundlage für die Abstimmung ist ein kritischer Bericht, in dem eine «systemische Bedrohung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte in Ungarn» angeprangert wird.
- Ungarn weist die Vorwürfe scharf zurück. Der rechtsnationale Ministerpräsident Viktor Orban beklagte im EU-Parlament, das Urteil gegen sein Land sei bereits gesprochen.
Die Debatte im EU-Parlament hätte symbolträchtiger nicht beginnen können. «Herr Präsident, ich glaube, ich sollte hier aufhören und nochmals von vorne anfangen, weil das kein guter Start ist», sagte Judith Sargentini, die die Debatte eröffnete.
Es war kein guter Start, weil der ungarische Premierminister Viktor Orban tatsächlich zu spät erschien. So setzte Sargentini ein zweites Mal an und zitierte die Grundwerte der EU: «... der Respekt vor der menschlichen Würde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit, Respekt gegenüber Menschenrechten ... » Und dann kam sie zu der entscheidenden Frage: «Halten alle Mitgliedstaaten diese Verpflichtungen ein?»
«Nein», sagte Sargentini. Die Abgeordnete der Grünen aus den Niederlanden hat bereits im Frühling im Namen des Parlamentsausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres einen vernichtenden Bericht über Ungarn verfasst. Der Ausschuss hat diesen angenommen.
Das ist die erste Grundlage der heutigen Debatte im EU-Parlament. Seit Veröffentlichung des Berichts habe sich die Situation sogar noch verschlechtert. Zu diesem Schluss kommt Ingeborg Grässle ebenfalls. Sie sprach im Namen des Haushaltskontrollausschusses.
Schliesslich sagte dies auch Petra Kammerevert, welche im Namen des Kulturausschusses die Angriffe der ungarischen Regierung auf die Forschungsfreiheit anprangerte. Sie kritisierte dabei insbesondere die Angriffe auf die vom Milliardär George Soros finanzierte Central European University.
Orban und die Würde des ungarischen Volkes
Der ungarische Premierminister Viktor Orban ging auf die Kritiken inhaltlich nicht ein. Stattdessen stellte er diese als Angriffe auf die Würde des ungarischen Volkes dar. Dieses habe mit seinem Blut die kommunistische Herrschaft vertrieben und solle nun dafür bestraft werde, dass es während der Flüchtlingskrise keine Flüchtlinge habe aufnehmen wollen.
Orban beschrieb einen Graben zwischen Brüssel und dem ungarischen Volk. Seine Rede war denn auch nicht als Geste des Einlenkens gedacht, sondern sie war vor allem an seine Leute zu Hause gerichtet.
Doch ist natürlich auch ihm klar, dass er damit die EU-Parlamentarier nicht überzeugen kann. Der Chef der Liberalen, Guy Verhofstadt, hielt ihm entgegen: «Wenn Ungarn heute der EU beitreten wollte, es würde nicht aufgenommen.»
«Beenden Sie diesen Albtraum»
Entscheidend wird nun die Abstimmung morgen im Plenum sein. Um das Art. 7.-Verfahren aktivieren zu können, ist eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. Entscheidend werden dabei die Stimmen der Volkspartei sein. Bis anhin legte diese ihre Hand schützend über Orban.
Doch nun ist der Druck, sich von Orban zu distanzieren, enorm gestiegen, so sagte Guy Verhofstadt: «Orban gehört zu denjenigen, die die EU zerstören wollen. Deshalb stoppen Sie bitte diesen Albtraum»
Angesprochen ist vor allem Manfred Weber, der Chef der Volkspartei im EU-Parlament. Vor allem er unterstützte immer wieder Orban. Doch nun ist auch er gezwungen, Position zu beziehen. Weber möchte neuer Kommissionspräsident werden, da kann er es sich mit den anderen Parteien nicht verscherzen. Seine Fraktion wird heute Abend ihr Stimmverhalten für morgen beschliessen. «Ohne Dialogbereitschaft der ungarischen Regierung könnte ein Art. 7. -Verfahren notwendig werden», so Weber.
Endlich – möchte man beifügen – scheint auch die Volkspartei soweit zu sein.