Seitdem das Kriegsglück die Ukraine verlassen hat, ist im Westen wieder vermehrt von möglichen Verhandlungen die Rede. Welche Chancen solche Gespräche haben, sagt die Schweizer Krisendiplomatin Heidi Tagliavini.
SRF News: Wieso wird jetzt wieder über Verhandlungen gesprochen?
Heidi Tagliavini: Wir sehen Ermüdungserscheinungen, vor allem im Westen. Dann gibt es eine immer grösser werdende politische Uneinigkeit im westlichen Lager. Dazu kommt die Einsicht, dass dieser Krieg militärisch nicht zu lösen ist und dass die Implikationen für den Westen sowohl finanziell wie politisch, ideologisch als auch militärisch auf die Dauer kaum zu stemmen sind.
Die einen sagen, es müssten Gespräche stattfinden, um das Töten zu stoppen. Andere sagen, dass man mit Wladimir Putin nicht reden dürfe und nicht reden könne. Was meinen Sie?
Gespräche sind in der Tat immer besser als Waffengewalt. Aber hier gilt der Satz des früheren amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan: «It takes two to tango.» Vorläufig haben beide Seiten diametral entgegengesetzte Vorstellungen, was mit Verhandlungen erreicht werden soll.
Russland verschwindet nicht einfach so von der Bildfläche.
Doch allein schon, weil Russland der unmittelbare Nachbar nicht nur der Ukraine, sondern von ganz Europa ist, muss irgendwann mit Moskau verhandelt werden. Ausserdem ist Russland das grösste Land auf dem Kontinent. Es verschwindet nicht einfach so von der Bildfläche.
Sie kennen Putin persönlich. Wie haben Sie ihn als Gesprächspartner erlebt?
Wladimir Putin wirkte auf mich immer wie ein aufmerksamer, gut vorbereiteter, aber undurchschaubarer und unberechenbarer Gesprächspartner.
Wie bringt man Parteien mitten in einem Krieg dazu, miteinander zu reden?
Es kommt immer darauf an, von welcher Art von Gesprächen man spricht. Im Falle der Ukraine gab es ja seit Kriegsbeginn immer wieder Verhandlungsversuche. Sie erinnern sich bestimmt an die Getreideabkommen oder an den Austausch von Kriegsgefangenen. Aber das sind noch keine Friedensverhandlungen.
Wird das Völkerrecht gebrochen und kommt so ein Staat nahezu ungeschoren davon, dann ist das wie ein Dammbruch.
Weltweit gibt es derzeit so viele bewaffnete Konflikte wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Heisst das, die Diplomatie hat versagt?
Nein. Aber Krieg und ähnliche politische Entwicklungen haben die Eigenart, Schule zu machen. Wird das Völkerrecht gebrochen und kommt so ein Staat nahezu ungeschoren davon, dann ist das wie ein Dammbruch. Die Annexion der Krim 2014 war eine krasse Verletzung des Völkerrechts. Auch die Unterstützung der Separatisten durch Russland im Donbass 2014 war ein Bruch des Völkerrechts. Der russische Einmarsch im Februar 2022 in der Ukraine verstiess dann gegen alle wichtigsten internationalen Friedensverträge. Dass nun auch in anderen Krisenregionen vermehrt auf kriegerische Auseinandersetzung gesetzt wird, zeigt, wie ansteckend und nachahmenswert so ein Bruch mit dem Völkerrecht sein kann.
Kann man als Vermittlerin in einem bewaffneten Konflikt überhaupt Frieden schaffen?
Nein. Lösungen müssen aus dem Innern der Gesellschaft kommen, wie das einmal der Schweizer Historiker Oliver Schmidt in Bezug auf den Balkan sehr trefflich sagte. Letztendlich sind es die Parteien, die hinter einem Friedensvorschlag stehen müssen. Ausschlaggebend für einen nachhaltigen Frieden ist, dass die ausgehandelte Lösung von beiden Parteien als gerecht betrachtet wird.
Das Gespräch führte Matthias Kündig.