- Premierminister Boris Johnson bereitet die Wirtschaft Grossbritanniens auf einen harten Brexit vor.
- Sollte die EU ihren Ansatz in den Verhandlungen nicht grundlegend ändern, werde es einen Brexit ohne Handelsabkommen geben, sagte Johnson.
- EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schrieb auf Twitter, dass weiter an einem Abkommen gearbeitet werde – aber nicht um jeden Preis.
Premierminister Boris Johnson zeigte sich enttäuscht über die Signale der Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel in Brüssel. Das Treffen sei nicht «sehr ermutigend» gewesen, sagte Johnson in einer Fernsehansprache.
Die EU verhandle nicht ernsthaft. Das Land müsse sich deswegen ab Januar 2021 auf eine neue Situation einstellen, sagte Johnson. Wenn Ihr nicht nachgebt, dann gehen wir eben, lautet die Botschaft des britischen Premiers.
Von EU-Seite wurden Johnsons Äusserungen ignoriert. «Wir verhandeln weiter», sagten ungerührt nacheinander EU-Kommissionspräsident Ursula von der Leyen, EU-Ratspräsident Charles Michel und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Abschluss des EU-Gipfels.
No-Deal-Szenario mit Hintertürchen?
Bei näherem Hinsehen war Johnsons Fernsehansprache alles andere als eindeutig. Er liess eine Hintertür offen, doch weiter mit der EU über einen Handelspakt zu sprechen. Das sei möglich, wenn die EU umsteuere, liess Johnson erkennen: «Kommt hierher, kommt zu uns – wenn es fundamentale Änderungen an eurer Position gibt.»
Nun soll EU-Unterhändler Michel Barnier kommende Woche nach London reisen und die Gespräche «intensivieren», schrieb von der Leyen auf Twitter. Ratspräsident Michel stellte allerdings klar, dass die EU ihre beim Gipfel abgestimmte Haltung nicht über Bord werfen werde.
Die EU-Staatschefs hatten am Donnerstag betont, Grossbritannien müsse sich bewegen – man wolle zwar einen Handelspakt für die Zeit nach der Brexit-Übergangsphase, aber nicht zu jedem Preis.
Experte: «Beide Seiten pokern hoch»
Wird Barnier also bei seinem britischen Kollegen David Frost am Montag auflaufen? Wohl kaum: Beide haben weitere Gespräche vereinbart.
«Die Verhandlungen gehen weiter, völlig klar», sagte auch Guntram Wolff vom Brüsseler Thinktank Bruegel nach Johnsons Auftritt. «Jetzt sind wir in einer Verhandlungsphase, in der beide Seiten sehr hoch pokern.»
Ähnlich sieht das in Grossbritannien Brexit-Expertin Georgina Wright von der Denkfabrik Institute for Government: «Das sind wirklich keine Neuigkeiten», sagte sie zu Johnsons wortgewaltigem Auftritt. «Die nächste Woche wird entscheidend.»
Wechselseitige Handelshemmnisse drohen
Bei den Verhandlungen geht um einen umfassenden Handelsvertrag ab 2021. Grossbritannien hatte die EU Ende Januar verlassen, ist aber während einer Übergangszeit bis zum Jahresende noch Mitglied im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion. Erst danach kommt der wirtschaftliche Bruch.
Ohne Vertrag drohen Zölle und hohe Handelshürden. Die Wirtschaft auf beiden Seiten warnte vor erheblichen Verwerfungen. Einbussen sind bereits jetzt zu spüren.
Ende Jahr läuft die Übergangszeit aus, in der Grossbritannien noch EU-Regeln anwendet. Über die künftigen Beziehungen wird momentan verhandelt, bislang aber ohne Ergebnis. Johnson hatte zuletzt eine Frist bis zum 15. Oktober für eine Einigung gesetzt. Diese Frist hatte Brüssel ignoriert.