Entgegen der landläufigen Ansicht läuft der internationale Datentransfer nur zu einem kleinen Teil über Satelliten. Weit mehr als 95 Prozent gehen über Tiefseekabel. So finden tagtäglich etwa Finanztransaktionen in Höhe von zehn Billionen Dollar über solche Leitungen statt. Und für den Öl- und Gashandel sind Pipelines im Meer unverzichtbar. Die Rede ist deshalb von den Lebensadern der globalen Wirtschaft.
Doch diese Tiefseeinfrastruktur sei «äusserst verletzlich und schwer zu schützen», sagt Professor Trevor Taylor von der britischen Sicherheits-Denkfabrik Rusi. Der frühere US-Vizeadmiral Andrew Lewis meint: «Es passiert enorm viel in der Tiefsee, von dem wir keine Ahnung haben.»
Er meint nicht zuletzt Sabotageakte. Fachleute mahnen seit längerem, einzelne Staaten, aber auch das Militärbündnis Nato müssten dem Schutz der Tiefseeinfrastruktur mehr Aufmerksamkeit schenken. Geheimdienste thematisieren die Bedrohung neuerdings häufiger und dringlicher.
Solche Sabotageakte lassen sich leicht abstreiten. Kaum je werden die Täter in flagranti erwischt.
Doch erst seit kurzem wächst auch der politische Druck, mehr Vorkehrungen zu treffen. Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz sagt dazu: «Wir sind uns einig darin, den Nato-Generalsekretär zu bitten, eine Koordinationsstelle zum Schutz der Unterwasserinfrastruktur einzurichten.» Jens Stoltenberg nimmt nun den Ball auf – und sieht als Urheber vor allem Russland.
Die russische Hand wird hinter zahlreichen anderen Aktionen vermutet. Beschädigt wurden in jüngster Zeit etwa Kabel zwischen Norwegen und Spitzbergen oder eine Pipeline zwischen Finnland und Estland. Schäden gab es auch andernorts, etwa an einer Datenleitung im Roten Meer, wo die jemenitischen Houthis eine Rolle gespielt haben könnten. Im süd- und ostchinesischen Meer wiederum gibt es Hinweise auf mögliche Sabotage, die vor allem Taiwan und Japan schaden würde.
Das Problem: Gerade in seichten Meeren wie der Ostsee sind Leitungen relativ leicht zu kappen, sagt Eoin McNamara vom finnischen Institut für internationale Angelegenheiten: «Und attraktiv für die Urheber ist: Solche Sabotageakte lassen sich leicht abstreiten. Kaum je werden die Täter in flagranti erwischt.»
Mehr Überwachung und mehr Abschreckung, lautet das Rezept.
Das Risiko nimmt ausserdem zu, weil das untermeerische Netz wächst. Derzeit gibt es um die 600 wichtige Leitungen in einer Gesamtlänge von 1.4 Millionen Kilometern. Es ist unmöglich und nicht finanzierbar, sie so zu bauen – etwa versenkt im Meeresboden oder mit Stahl oder Beton verstärkt – damit sie vor Sabotage geschützt sind.
«Dennoch müssen die Nato, einzelne Regierungen, aber auch Privatunternehmen, welche die Leitungen hauptsächlich nutzen und oft auch betreiben, weitaus mehr tun als bisher», sagt McNamara, der für die Militärallianz ein entsprechendes Papier verfasst hat: «Mehr Überwachung und mehr Abschreckung, lautet das Rezept.» Tatsächlich schuf die Nato nun eine neue Abteilung dafür und zusammen mit der EU eine Taskforce.
Der Kampf gegen Saboteure rückt also auf der Prioritätenliste nach oben. Auch in der Öffentlichkeit wird die Gefahr stärker wahrgenommen. Mängel bei der Zusammenarbeit zwischen Staaten, Institutionen und Firmen sind erkannt. Behoben sind sie noch längst nicht. Die Sabotagefälle dürften also zunehmen – mit gravierenden wirtschaftlichen Folgen.