Um die Vogelgrippe scheint es hierzulande etwas stiller geworden zu sein, doch diese Wahrnehmung täuscht. Behörden und Forschende sind am Thema sehr nahe dran, sagt Gertraud Schüpbach, Professorin an der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern. «In der Schweiz hat sich bei einigen Vogelpopulationen das Virus festgesetzt und ist endemisch geworden.» Endemisch bedeutet, dass die Krankheit dauerhaft gehäuft in einer Population vorkommt.
Möwen besonders betroffen
Vor allem bei Lachmöwen und anderen Möwenarten hat sich das hochansteckende Virus H5N1 festgesetzt. «Das war zu erwarten. Man hat auch in anderen Ländern beobachtet, dass die Möwen durchaus empfänglich sind für das Virus.»
Allerdings: Für Möwen ist die Vogelgrippe nicht so verheerend wie für andere Wasservögel. Es seien nie ganze Populationen bedroht gewesen, sagt Schüpbach. «Anscheinend sind sie nicht sehr empfindlich und sterben nicht in grossen Mengen. Aber natürlich gab es auch Totfunde, sonst hätte man den Ausbruch gar nicht gemerkt.»
Empfänglich für das Virus – aber nicht so empfindlich: Was heisst das biologisch genau? Antworten kennt der Virologe Gert Zimmer, Vogelgrippe-Spezialist am Institut für Virologie und Immunologie des Bundes IVI. Zimmer erklärt: Bei den Vogelgrippeviren existieren grundsätzlich zwei verschiedene Typen: Sie sind entweder hochpathogen oder niedrigpathogen.
Virus-Typen haben sich vermischt
Bei den Möwen zirkulieren niedrigpathogene – wenig krankmachende – Vogelgrippeviren offenbar schon länger. Dann kamen sie in Kontakt mit dem hochpathogenen H5N1. Der vergleichsweise milde Verlauf bei den Möwen lasse sich so erklären. «Das H5N1 -Virus hat Gensegmente mit an Möwen angepassten sogenannten niedrigpathogenen Vogelgrippeviren ausgetauscht.»
Möwen sind nicht nur auf die Küstenregionen beschränkt, sondern brüten auch im Inland. Auf diese Weise kann sich das Virus auch im Inland weiterverbreiten.»
Anders gesagt: Die beiden Virus-Typen haben sich genetisch vermischt. «Dadurch sind hochpathogene H5N1-Viren entstanden, welche gut in Möwen replizieren.»
Das sei besorgniserregend, sagt Zimmer. «Möwen sind nicht nur auf die Küstenregionen beschränkt, sondern brüten auch im Inland. Auf diese Weise kann sich das Virus auch im Inland weiterverbreiten.» Bei Hühnern und anderem Hausgeflügel in Schweizer Ställen könnte es also wieder Ausbrüche geben.
Bei den Wildvögeln hingegen hat sich die Situation hierzulande und auch sonst in Europa etwas entspannt. Forschende vermuten, dass dabei dieselben genetischen Mechanismen eine Rolle spielen wie bei den Möwen. «Wahrscheinlich sind viele Wildvögel relativ resistent gegenüber hochpathogenen H5N1-Viren, weil sie vorher bereits Kontakt zu ähnlichen Viren hatten», weiss Zimmer.
Geringes Risiko für den Menschen
Andere Wildvogelarten haben allein durch die Infektion mit H5N1 eine Immunität gegen das Virus aufgebaut. Zum Beispiel die Basstölpel: gänsegrosse Meeresvögel, die im Norden brüten und die von der Vogelgrippe beinahe ausradiert wurden.
Beinahe: «Bei denjenigen Tieren, welche überlebt haben, hat sich die Iris schwarz verfärbt. Auf diese Weise kann man bereits von aussen her gut erkennen, welche Tiere immun sind gegen H5N1 und welche nicht.»
Und das Risiko für den Menschen? Gert Zimmer gibt Entwarnung: Es gebe keine Hinweise, dass das zirkulierende H5N1-Virus den Menschen bedrohe. Einzelne Fälle von Infektionen durch Kontakte mit infizierten Hühnern seien milde verlaufen. Aber noch nie hätten sich Menschen untereinander angesteckt.