Die Welt ist sich eigentlich einig: Die erste Ansteckung mit dem Coronavirus ereignete sich auf einem Fischmarkt in der chinesischen Stadt Wuhan. Seit ein paar Tagen wird diese Theorie in China infrage gestellt: Die chinesische Regierung selbst setzte die Theorie in die Welt, wonach die US-Armee das Virus nach Wuhan gebracht habe.
SRF News: Versucht China gerade, die Geschichte des Corona-Ausbruchs umzuschreiben?
Martin Aldrovandi: Ja, und sie tut dies mit einem gewissen Erfolg. Diese Anschuldigungen an die USA sind der bisherige Höhepunkt. Aber bereits zuvor haben chinesische Diplomaten und ein bekannter chinesischer Forscher gesagt, dass das Virus nicht unbedingt aus China stammen müsste.
China positioniert sich klar weg vom Ursprung der Krise hin zum Krisenbewältiger.
Die chinesischen Medien berichteten gross über das Versagen der westlichen Länder, die mit der Krise überfordert seien. Es wird auch über die chinesische Hilfe in Italien berichtet. Dazu gab es ein Video von Italienern, die sich angeblich singend bei China bedanken. China positioniert sich hier also klar weg vom Ursprung der Krise hin zum Krisenbewältiger und Helfer in anderen Ländern.
China will sich bei der eigenen Bevölkerung gut darstellen. Glauben das die Leute denn auch?
Inzwischen glauben das sehr viele. China stand ja zu Beginn unter massiver internationaler und nationaler Kritik. Jetzt sagen auch chinesische Bekannte von mir, dass der Westen, der China gerne und oft kritisiere, das Problem nun selbst verschlafen habe.
Auf welche Fakten beruft sich die Regierung beim Vorwurf gegenüber der US-Armee, sie habe das Virus nach China eingeschleppt?
Der Sprecher des Aussenministers legt keine richtigen Beweise für seine Aussage auf Twitter vor. Die Theorie besagt, dass die amerikanische Armee das Virus bereits im Oktober nach Wuhan, wo die Military Games stattfanden, eingeschleppt habe. Der Sprecher hat einen Artikel von Global Research im Tweet verlinkt. Diese Webseite ist bekannt für Verschwörungstheorien.
Was hat China davon, wenn es Zweifel zum Ursprung des Coronavirus streut?
Es geht womöglich darum, Verwirrung zu stiften. Die Massnahmen gegen die Ausbreitung in China waren sehr drastisch und auch umstritten, es gab Kritik an den Lokalbehörden, aber auch an der Regierung. Dass jetzt ausgerechnet die USA angegriffen werden, ist nicht überraschend. US-Politiker haben China sehr stark kritisiert für die jetzige Krise und haben immer vom «Wuhan-Virus» oder «China-Virus» gesprochen. Das ist in China gar nicht gut angekommen.
Die Entspannung passt ins Bild, das die chinesische Regierung von sich verbreiten will.
Inzwischen liest man, die Lage in China entspanne sich wieder. Muss man denn auch diese Berichte infrage stellen?
Es stimmt insofern, als wieder Normalität einkehrt, in Shanghai zum Beispiel haben viele Geschäfte wieder geöffnet. Die am schlimmsten betroffenen Regionen sind aber noch nicht so weit. Die Fallzahlen, die offiziell stark zurückgehen, sind schwierig unabhängig zu prüfen. Was man sagen kann: Diese Entspannung passt ins Bild, das die chinesische Regierung von sich verbreiten will. Nämlich, dass sie mit den drastischen Massnahmen die Krise gemeistert hat – viel besser, als dies der Westen jetzt tue.
Das Gespräch führte Roger Brändlin.