Der chinesische Staats- und Parteichef Xi Jingping ist überraschend in die Metropole Wuhan gereist, wo die Coronavirus-Epidemie ihren Anfang nahm. Gleichzeitig vermelden die chinesischen Behörden eine weitere Abnahme bei den Neuansteckungen. Trotzdem sei ein Ende der Corona-Krise in China nicht absehbar, sagt SRF-Korrespondent Martin Aldrovandi.
SRF News: Welche Absichten verfolgt Xi Jinping mit seiner Reise in die Millionenstadt Wuhan?
Martin Aldrovandi: Der Besuch ist ein Anzeichen dafür, dass die chinesische Regierung davon ausgeht, dass das Schlimmste überstanden ist. Seit längerem hatten viele Chinesen darüber spekuliert, dass erst bei einem Besuch Xis in Wuhan ein Ende der Krise in Sicht sei. Xi hatte sich zu Beginn der Corona-Epidemie ja eher zurückgehalten und seinen Premierminister Li Keqiang vorgeschickt.
Es tönt nach Entspannung in Wuhan. Welche Massnahmen gegen das Coronavirus gelten noch in China?
Das ist je nach Ort verschieden. Mancherorts sind die Massnahmen nach wie vor sehr streng – ein Zeichen, dass die Krise sicher noch nicht überwunden ist. So müssen etwa ankommende Passagiere am Flughafen von Shanghai mit stundenlangen Wartezeiten und Prozeduren rechnen. Sie werden rigoros überprüft und in verschiedene Gruppen eingeteilt.
Mancherorts dürfen die Bewohner ihre Wohnungen nicht verlassen.
Wer aus einem Risikogebiet kommt, muss 14 Tage in Quarantäne. Viele Chinesen arbeiten zudem immer noch von zuhause aus. Auch haben viele Wohnsiedlungen eigene Bestimmungen im Zusammenhang mit dem Coronavirus: In einigen dürfen Auswärtige die Häuser nicht betreten, andernorts dürfen die Bewohner ihr Zuhause nicht verlassen.
Laut den chinesischen Behörden sind gestern nur noch 19 neu nachgewiesene Infektionen mit dem Coronavirus in ganz China dazugekommen. Sind die offiziellen Zahlen glaubwürdig?
Die Zahlen sind nicht zu überprüfen und man muss davon ausgehen, dass die Dunkelziffer viel höher ist. Die Behörden haben in den letzten Wochen mehrmals die Testmethoden geändert, auch dürften viele Fälle nicht erfasst worden sein.
Die Dunkelziffer dürfte viel höher sein.
Sicher ist einzig, dass die verkündete starke Abnahme der Fälle sehr gut ins Narrativ der chinesischen Führung passt. Sie kann so zeigen, dass sie mit ihrem Top-Down-Regierungsstil in China alles im Griff hat und die harten Massnahmen Wirkung gezeigt haben.
Trotz der offenbar niedrigeren Fallzahlen und des Besuchs Xis in Wuhan: Ganz überwunden ist die Corona-Krise in China doch noch nicht?
Auf keinen Fall. Ein Indikator dafür ist etwa die Verschiebung des Nationalen Volkskongresses, der in diesen Tagen hätte stattfinden sollen. Für das grösste politische Ereignis des Jahres in China, bei dem aus dem ganzen Land Polit-Vertreter nach Peking reisen, ist immer noch kein neues Datum angesetzt worden. Solange das nicht geschieht, kann kaum von einem Ende der Corona-Krise gesprochen werden.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger.