Die Deutsche Bahn und der Winter werden keine Freunde mehr. Schon Anfang Dezember rissen an deutschen Bahnhöfen reihenweise Geduldsfäden. Schneefälle führten verbreitet zu Verspätungen und Ausfällen. In Süddeutschland mussten Reisende in Zügen übernachten; rechtzeitig zu Weihnachten wirbelte dann Sturmtief «Zoltan» die Reisepläne der Fahrgäste durcheinander.
In diesen Tagen ist der Winter erneut mit aller Härte hereingebrochen: Schnee und Eisglätte setzen dem Zug- und Flugverkehr zu. Bahnreisende müssen auch heute wieder in ganz Deutschland mit Einschränkungen und Ausfällen rechnen.
Doch was sind die Gründe dafür, dass der Deutschen Bahn so schnell der Schnauf ausgeht? Aufklärung kann Wolfgang Dietrich Mann liefern. Er ist Eisenbahner, stellvertretender Vorsitzender und Geschäftsführer des gemeinnützigen Vereins «Gesellschaft für rationale Verkehrspolitik» in Deutschland.
In der Schweiz erlebe ich ein wesentlich besser funktionierendes Bahnsystem als in Deutschland – und das nicht nur an Tagen, an denen es mal schneit.
Mann ist selbst regelmässig in der Schweiz mit dem Zug unterwegs. Sein Verdikt: «In der Schweiz erlebe ich ein wesentlich besser funktionierendes Bahnsystem als in Deutschland – und das nicht nur an Tagen, an denen es mal schneit.» Störungen und verpasste Anschlüsse könne es zwar auch in der Schweiz geben. «In Deutschland kommen sie aber wesentlich häufiger vor.»
Investitionen sträflich vernachlässigt
Für Mann gibt es einen banalen Grund, warum das deutsche Bahnsystem derart lahmt: «Es fehlt ganz klar am Geld.» Deutschland sei ein Autoland und über viele Jahre hinweg seien Gelder fast nur in die Strasse geflossen. Die notwendigen Investitionen in die Schiene seien sträflich vernachlässigt worden.
In der Schweiz wird der Bahnverkehr über den Bahninfrastrukturfonds finanziert. Dieser schafft beim Ausbau und Unterhalt der Schiene langfristig Planungssicherheit. Die Schweiz agiere hier vorbildlich und habe mit ihren Investitionen ein sehr leistungsfähiges Bahnsystem geschaffen, schätzt der deutsche Verkehrsexperte.
Dominoeffekt bei Störungen
In Deutschland fehle es dagegen an Kapazitäten und Reserven. «Sobald eine höhere Last auf das System fällt, ist es empfindlicher bei Störungen: Wie bei einer Kette an Dominosteinen fällt einer nach dem anderen um.»
Dafür, dass der Schweizer Züge im Regelfall zielsicher durch den Winter kommen, macht Mann aber auch noch etwas anderes verantwortlich: die Erfahrung. «Aufgrund der Topografie sind wesentlich grössere Teile der Schweiz heftigen Schneefall gewohnt als bei uns.»
Egal ob Schiene, Strasse oder Flugzeug: Wind und Wetter können jedem Verkehrssystem zusetzen. Damit Störungen aufgefangen werden können, brauche es aber auch Ressourcen, schliesst Mann: «Wie viel Personal ist vorhanden, wie viel Kapazität haben die Strecken?» Diese Unterschiede zwischen Deutschland und der Schweiz würden sich nicht nur bei Schnee bemerkbar machen. «Dieser ist nur ein weiterer Störfaktor, der das System aus dem Takt bringen kann.»
Allerdings: Das deutsche Schienennetz ist mit einer Länge von 33’500 Kilometern fast siebenmal so gross wie jenes der Schweiz. Unterhalt und Betrieb sind ungleich aufwändiger. Ist der Vergleich mit der Schweiz also überhaupt gerecht? Durchaus, findet der Bahnexperte. Denn man müsse die Zahlen in Bezug setzen – und zieht die Ausgaben für den Schienenverkehr im europäischen Vergleich heran: «Deutschland gab zuletzt pro Kopf im Jahr 114 Euro aus, Österreich 319 Euro und die Schweiz 415.»