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Vertrauen statt Waffe Was unterscheidet die britische und die schweizerische Polizei?

Das britische Polizeimodell setzt auf Nähe zur Bevölkerung – und dies ohne Waffen. Möglich ist dies durch gegenseitigen Respekt.

Zwei Polizisten in London spielen mit Kindern Fussball – eine recht typische Situation. Britische Polizistinnen und Polizisten sind im Alltag sehr bürgernah. Sie gehören zum Quartierbild und zum öffentlichen Mobiliar. Die Uniform häufig ein bisschen zerknittert. Die Körperfülle gelegentlich nicht mehr ganz zur Konfektionsgrösse passend, aber meistens von grosser Ruhe und natürlicher Autorität umfächelt.

Ein Kontrast zu den Polizisten in der Schweiz: Die ersten Beamten, die mir gelegentlich auf Heimaturlauben in der Schweiz begegnen, sind die Bahnpolizisten im Zug in Zürich. Sehr sportlich, aber leicht grimmig. In schweren Stiefeln, am Gurt ein multifunktionales Arsenal: Waffe, Schlagstock, Pfefferspray, Handschellen. Immer korrekt, aber eben nicht so nahbar wie die Bobbies in London.

Die Wurzeln der britischen Polizeikultur

Diese Vertrauenskultur zwischen der Polizei und der Bevölkerung in Grossbritannien geht auf eine Verordnung der Metropolitan Police im 19. Jahrhundert zurück. Sie postuliert das sogenannte «Policing by consent». Polizisten sollen im Einverständnis mit den Bürgerinnen und Bürgern agieren. Sie sollen als Bürger in Uniform wahrgenommen werden. Eine Waffe störe diese Beziehung und führe zu einem Gefälle, ist bis heute auf der Website des Innenministeriums zu lesen.

Zwei Polizisten in Warnwesten gehen auf einer belebten Strasse.
Legende: Polizisten in Grossbritannien sollen als Bürger in Uniform wahrgenommen werden, ohne Waffen, um das Gleichgewicht zwischen ihnen und der Bevölkerung zu wahren. imago images/John Patrick Fletcher (22.12.2024)

Nur knapp 6000 der 150’000 britischen Polizeibeamtinnen und -beamten tragen gemäss Recherche der «Sunday Times» eine Waffe. Polizeiarbeit beruht deshalb in Grossbritannien, wenn immer möglich, auf deeskalierenden Gesprächen. Das wird häufig auf Grossdemonstrationen augenscheinlich, wenn Bobbies mit ihrem typischen Helm mitmarschieren und bei Regelverstössen niederschwellig intervenieren.

Respekt auf beiden Seiten

«Policing by consent» beruht Gegenseitigkeit. Die Menschen haben auch die Polizei zu respektieren. Kriminalität und Gewalt sind auch im Vereinigten Königreich eine Realität. Doch Regeln haben in diesem Land für eine Mehrheit der Bevölkerung eine andere Bedeutung als in der Schweiz.

Ein ungeschriebenes Geflecht von Höflichkeitsregeln hält die britische Gesellschaft bis heute zusammen. In der überfüllten U-Bahn, in der Warteschlange im Grossverteiler oder gegenüber Beamtinnen und Beamten.

Auch dieser Unterschied ist spürbar, wenn man aus London kommend in Zürich in den Zug steigt. Die höfliche Bitte um die Freigabe eines Sitzplatzes, der von einem Passagier mit einer Tasche belegt wird, kann im individualistischen Alpenland rasch zu einem Vollkontakt-Ereignis eskalieren.

Mehrheit befürwortet waffenlose Polizei

Trotz der Akzeptanz der Bobbies gibt es gelegentlich Forderungen nach einer stärkeren Bewaffnung – gerade nach Terroranschlägen. Oder wenn es zu Angriffen auf Polizistinnen und Polizisten kommt. Beispielsweise als im Jahre 2017 vor dem Buckingham-Palast ein Polizist von einem Mann mit einem Schwert angegriffen und verletzt wurde.

Der konservative «Daily Telegraph» schrieb damals, dass die Zeit der waffenlosen Polizei nun zu Ende sei. Interessanterweise sieht das die Bevölkerung anders. Eine Mehrheit befürwortet das bisherige waffenlose «Policing by consent». Laut einer Umfrage des Verbandes der britischen Polizeibeamtinnen und -beamten möchten gut 70 Prozent von ihnen keine Waffe tragen. Knapp zehn Prozent geben sogar an, dass sie den Dienst quittieren würden, wenn sie eine Waffe tragen müssten.

Echo der Zeit, 22.01.2025, 18 Uhr

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