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Israel: Worte finden, wofür es keine gibt
Aus Rendez-vous vom 21.06.2024. Bild: zvg/SRF
abspielen. Laufzeit 6 Minuten 59 Sekunden.

Vertriebene im eigenen Land Israel: «Unser Land hat sich verliebt in Schutz und Sicherheit»

Der Avocado-Bauer und Autor Bar Heffetz wurde nach dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober aus dem Kibbuz Nirim evakuiert. Zurückkehren konnte er noch nicht. Er schreibt über seine Gefühle und Beobachtungen.

Worte zu finden, wofür es keine gibt – das versucht der 47-jährige israelische Autor Bar Haffetz: Er lebte in einem von der Hamas angegriffenen Kibbuz. Seither schreibt er über seine Gefühle und Beobachtungen seit dem 7. Oktober.

Über Bar Heffetz

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Legende: Bar Haffetz ist im Kibbuz Nirim aufgewachsen – und wurde noch dem Hamas-Angriff evakuiert. Er schreibt über seine Gefühle und Beobachtungen. ZVG

Der Kibbuz Nirim ist älter als der Staat Israel. 1946 vom Vater des heute 47-jährigen Bar Heffetz mitgegründet, feierte der Kibbuz am 6. Oktober 2023 sein 77. Gründungsjubiläum. Der studierte Agronom Heffetz ist im Kibbuz geboren und aufgewachsen. Seine beiden Kinder, 16 und 13 Jahre alt, sind die vierte Generation, welche in Nirim lebt – besser gesagt: wären. Am 7. Oktober überfielen Bewaffnete aus dem nahen Gazastreifen auch den Kibbuz Nirim.

Zwischen dem Kibbuz Nirim und dem Gazastreifen liegen rund zwei Kilometer. Heffetz schreibt dazu: «Ich dachte keinen Moment lang, dass wir hier die Schweiz sein würden. Ich wusste immer, wer auf der anderen Seite lebt. Die Frage ist, wie sich unser Staat verhält, was wir von ihm erwarten.»

Die Hamas tötete mindestens fünf Menschen, verletzte Dutzende, hinterliess eine Spur der Verwüstung im Kibbuz Nirim.

Haffetz' 95-jährige Grossmutter entging nur knapp dem Tod. Ein Terrorist stürmte ihr Haus und verlangte Geld. Die philippinische Pflegerin der Grossmutter gab ihm ihre Ersparnisse und flehte den Bewaffneten an, die alte Frau nicht zu töten. Der Bewaffnete liess die beiden am Leben.

Sicherheit statt Frieden

Für den Avocado-Bauer ist klar, dass sich Israel in falscher Sicherheit wiegte. Der Friede wurde laut ihm vernachlässigt. Lieber investierte die Politik in Sicherheitstechnologie statt in die Suche nach langfristigen Lösungen: «In den letzten 20 Jahren hat sich unser Land verliebt in Schutz und Sicherheit, in die Raketenabwehr ‹Iron Dome›, in die Sicherung von Schulen und Strassen, und in Evakuierungen. Viele Evakuierungen, und Sperrgebiete, usw. Darauf hat sich unser Land konzentriert. Statt auf die Schaffung von Frieden. Frieden schafft man mit Vereinbarungen, die auch durchgesetzt werden.»

Darauf hat sich unser Land konzentriert. Statt auf die Schaffung von Frieden.

Bar Haffetz und seine Kinder wurden zusammen mit den anderen Überlebenden in Hotels evakuiert. Bis heute konnten sie, wie Zehntausende andere Israeli aus dem Süden und dem Norden des Landes, nicht zurückkehren.

Die Menschen der acht Kibbuzim, in welche die Hamas am 7. Oktober einfiel, sind mehrheitlich regierungskritisch. Sie demonstrieren seit Monaten für die Freilassung ihrer Familienangehörigen, welche die Hamas als Geiseln nahm, und für Neuwahlen.

Protestierende Menschen mit Schildern in der Nacht.
Legende: Seit Monaten protestieren Menschen in Israel gegen Premier Netanjahu und für die Freilassung der Hamas-Geiseln. Reuters/Marko Djurica (15.06.2024)

Als die rechtsnationalistische Ministerin Miri Regev mutmasste, die Demonstrierenden würden von der islamistischen Hisbollah im Libanon finanziert, schrieb Bar Heffetz bissig ironische Zeilen (in der Textbox) und veröffentlichte sie auf Facebook:

Haffetz' Worte für Ministerin Miri Regev

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Danke für die Hotels,

und danke für die Züge,

Und danke für die vorübergehende Unterbringung.

Tut mir leid, dass wir entführt wurden.

Tut mir leid, dass wir ermordet wurden.

Tut mir leid, dass es uns gibt.

Danke für die Entschädigung.

Und danke, dass du aufgewacht bist.

Und danke, denn das Leben ist schön.

Tut mir leid, dass wir sauer sind.

Es tut uns leid, dass wir nicht zufrieden sind.

Bar Haffetz trifft mit seinen Texten einen Nerv bei Jungen, bei der Kibbuz-Bevölkerung, und bei allen, die Premier Benjamin Netanjahu und seine rechtsradikale-ultrareligiöse Koalition mitverantwortlich machen für das Versagen der Landesverteidigung am 7. Oktober.

Es gibt keine Perspektive für unsere Zukunft. Wir wissen nicht, wann und wie wir nach Hause können. Und das ist ein grosses Problem.

Wann die Vertriebenen im eigenen Land zurückkehren können in ihr Kibbuz, hange einerseits vom Verlauf des Gazakrieges ab, sagt Bar Heffetz. Anderseits aber auch von der Regierung, die keine Eile zeigt, die zerstörten Kibbuzim wiederaufzubauen.

Heffetz, seine Freundin Tal und seine Kinder wohnen in einer temporären Wohnung in Beersheba. Tagsüber geht Bar Haffetz in den Kibbuz Nirim, um sich um seine Avocados zu kümmern: «Es gibt keine Perspektive für unsere Zukunft. Wir wissen nicht, wann und wie wir nach Hause können. Und das ist ein grosses Problem.»

Kürzlich beschrieb der palästinensische Schriftsteller Akram Al Sorani den grauenhaften Kriegsalltag in Gaza.

Der ausführliche Text von Bar Haffetz

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Ich lebe in einer Siedlung an der Grenze zum Gazastreifen. Leben in einem Kibbuz, das ist Teil unserer Werthaltung. Ich dachte keinen Moment lang, dass wir hier die Schweiz sein würden. Ich weiss, und ich wusste immer, wer auf der anderen Seite lebt. Die Frage ist, wie sich unser Staat verhält, was wir von ihm erwarten.

Und in den letzten zwanzig Jahren hat sich unser Land verliebt in Schutz und Sicherheit, in das Raketenabwehr-System «Iron Dome», in die Sicherung von Schulen und Strassen, und in Evakuierungen. Viele Evakuierungen, und Sperrgebiete, und so weiter.

Auf all das hat sich unser Land konzentriert. Statt auf die Schaffung von Frieden. Frieden schafft man mit Vereinbarungen, die auch durchgesetzt werden: mit Gewalt, mit Soldaten an der Grenze.

Damit wir also alle bald wieder heimkehren können, versprechen Sie uns bitte keine militärische Operation mit dem Namen «Schutzschild», treffen Sie lieber eine Vereinbarung und setzen Sie diese unbedingt auch durch! Die Bürger innerhalb eines souveränen Staates müssen wachsam sein.

Und im Moment hat man das Gefühl, dass sich unser Land nicht einig ist, wenn es darum geht, wie man Gewalt anwendet, und schon gar nicht, wie man Vereinbarungen trifft.

Rendez-vous, 21.06.2024, 12:30 Uhr

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